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Unterwegs mit der ältesten Boy Group

Von der Renaissance bis in den Pop:  King's Singers setzen die Standards

Für einen Abend stand Northeim ganz oben auf der Landkarte des gepflegten Chorgesangs. Auf ihrer Jubiläumstour machten die Kings Singers Station in der Sankt Sixti-Kirche. Das Sextett machte deutlich, wie hoch die Latte in Sachen a cappella nun mal liegt.

Vor 50 Jahren betraten die Sänger aus dem King's College zum ersten Mal die Bühne. Damit sind sie wohl die älteste Boy Group des Planeten.  Mit einer Welttournee feiern dies Ereignis und dabei entfielen vieer Konzert auf Deutschland. Dementsprechend hoch war die Nachfrage und die St. Sixti-Kirch schlicht und einfach bis auf den letzten Platz ausverkauft.

In den Swingin' Sixties war die Hinwendung zu klassischer Musik eine deutliche Aussage gegen den Mainstream. Bei allen Neuerungen im zweiten Set, muss man feststellen, dass sich das Ensemble im Großen und Ganzen treu geblieben ist.

Auch die Besetzung mit zwei Countertenören, einem Tenor, zwei Baritons und einem Bass ist seit den Anfangstagen geblieben. Diese Zusammensetzung garantiert den besonderen Klang zwischen himmelhoch jauchzend der Welt entrückt und schmeichelnd diesseitig.

In "The Prayer of King Henry VI" von Henry Ley schimmert noch viel Gregorianik durch. Auf dem Fundament stabiler Bässe füllen die weltentrückten Countertenöre das mächtige, gotische Kirchenschiff bis in die letzte Kreuzrippe und den letzten Arkadenbogen mit Innerlichkeit und Ton gewordenem Glauben. Das Publikum ist stillschweigend verzückt, der Applaus-Vorschuss hat sich ausgezahlt.

Sänger wie die Orgelpfeifen: Die King's
Singers in St.Sixti in Northeim.

Alle Fotos: Kügler
Überhaupt haben die King's Singers an diesem Abend viel zu bieten, was nur sie haben, nämlich Musik, die extra für dieses Ensemble geschrieben wurde. Das gilt auch für das "We are" von Bob Chilcott nach einem Text von Maya Angelou. Das Lied startet als Kanon, erst die Counters, dann der Tenor und die Bariton. Alles endet in einem harmonischen Satzgesang. Damit wird die Botschaft von der Individualität jedes Menschen in der Gemeinschaft aller Menschen wunderbar umgesetzt.

Auch als englisches Weltklasse-Ensemble kommt man in Deutschland an Gemütlichkeit nicht vorbei, das wissen die King's Singers. Zumindest heben sie das Trinklied "Frisch auf, lass uns ein guts Glas mit Wein" auf höchstes Niveau. Countertenor Timothy Wayne-Wright präsentiert hier seine schauspielerischen Ambitionen.

In "The seasons of his mercies" hat Richard Rodney Bennett eine Text aus dem 16. Jahrhundert von John Donne verarbeitet. Den King's Singers gelingt in ihrer Interpretation der Spagat zwischen Renaissance und Modern wunderbar. Tenor Julian Gregory beginnt mit einem Sprechgesang im Alt. Das Rauf und runter in den Oktaven erinnert in orthodoxe Liturgie. Dann setzt der Chor ein und verdeutlicht den Wechsel zwischen Himmel und Erde.

Die Stimmung kippt und an der Grenz zur Atonalität zeigen sich die King's Singers nun erstaunlich modern. Doch die Dominanz der Countertenöre im Schlussvers verspricht ein gutes Ende.

Die Romantik ist in Deutschland ebenso unvermeidlich. Bei Max Regers Morgengesang nach einem Text aus dem 16. Jahrhundert flutet das Tutti die Kirche mit musikalischem Licht. Alle sechs singen exakt dieselbe Melodie, das ist Harmonie in Vollendung. Die Brentano-Vertonung von Brahms hingegen ist von Innerlichkeit geprägt.

Die "Handmade Proverbs" von Toru Takemitsu sind eine weiter Auftragsarbeit für die King's Singers. Bei diesen vertonten Haikus zeigt das Sextett, dass es auch mit vielen Spielarten des Jazz vertraut ist. Der knappe Text wird mit Elementen des Barber Shop  und mit Lautmalerei ergänzt.

Timothy Wayne-Wright (mitte) hat auch
schauspielerisches Talent
Auch das Volkslied "Auf einem Baum ein Kuckuck saß" strotzt nur so vor Lautmalerei. Timothy Wayne-Wright beginnt, dann folgt im der Chor und es wird viel gekuckuckt. Das Publikum weiß es zu schätzen: Das ist Komik ohne in den Klamauk zu verfallen. Zwischendrin erweisen die King's Singer noch den Comedian Harmonist ihre Referenz, um dann mit Beethovens "Ta.-ta-ta-taaaaa" zu enden.

Dann verschwinden die Notenständer. Die King's Singers müssen nicht mehr vom Blatt singen, denn nun betreten sie die Abteilung "Herzensangelegenheiten".  Im "I'll follow the Sun" von den Beatles dringen sie ins Reich der Pop-Musik vor. Über der Bass-Gruppe setzen der Tenor und die Counters feine Melodielinien.  Also Pop können die sechs auch und das sehr gut und vor allem ohne modisches Beatboxen.

Im ersten Teil kunstfertig, im zweiten Teil des Abends emotional. Auf jeden Fall haben die King's Singers den Maßstab für den Gesang sehr hoch gelegt und das begeisterte Publikum bedankt sich mit langanhaltenden Applaus.









Material #1: Musiktage Niedersachsen - Die Website

Material #2: Die King's Singers - Die Website
Material #3: Die King's Singers - der Wiki-Eintrag

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