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Die Wahrheit ist ein zweischneidiges Schwert

Der Volksfeind als ein feines Psychogramm am Göttinger DT

Es scheint aktueller denn je. Ein Arzt deckt einen Umweltskandal auf und die Mächtigen wollen ihn vertuschen. Das ist der Kern von Ibsens Volksfeind. Doch die Inszenierung von Gerhard Willert am Deutschen Theater in Göttingen konzentriert sich auf die Handelnden und nicht auf den Skandal. Darin liegt die Stärke und deswegen ist dieser Volksfeind auch nach 135 Jahren mehr als aktuell und weist über die Gegenwart hinaus.

Tomas Stockmann hat in seiner Heimatstadt eine Heilquelle entdeckt. Das Nest wird zum Kurbad  und erlebt dadurch einen wirtschaftlichen Aufschwung. Stockmann selbst erhält die Stelle des Kuraztes, nachdem er und seine Familie lange Jahre in der Provinz darben mussten.

Doch als die Investitionen in die neuen Kuranlagen sich langsam auszahlen, macht Stockmann die nächste Entdeckung. Doch mangelhafte Bauarbeit ist das Wasser verschmutzt und vergiftet die Kurgäste. Stockmann will seine Ergebnisse veröffentlichen und trifft dabei auf zweifelhafte Unterstützung und auf reichlich Widerstand. Der härteste Konkurrent ist sein Bruder Peter. Der ist nicht nur Stadtvorsteher sondern zugleich auch Kurdirektor.

Schon mal ein Glas auf den Sieg: Noch ist sich die
Front der Reformer einig.   Alle Fotos: Thomas Aurin
Tomas Stockmann und seine Erkenntnisse werden zum Faustpfand im lokalpolitischen Intrigenspiel. Jeder will sein Süppchen mit dem trüben Wasser kochen. Stockmann und seine Familie geraten zwischen die Mühlsteine.

Doch Gerhard Willert schaut unter die Oberfläche. Es ist nicht so sehr der Skandal, der ihn interessiert sondern vielmehr die Skandalösen. "Was sind das für Menschen, die dort aufeinander losgehen?" scheint die leitende Fragestellung. In diesem kleinstädtischen Kosmos aus 9 Akteuren skizziert er jede Person fein und nachvollziehbar.

Zum Schluss sind alle fragwürdige Gestalten. Nur den wenigsten geht es um die Sache, sondern vor allem erst mal um die eigenen Person. Damit erlangt das Werk ein Stück Zeitlosigkeit. Leider machen die Kostüme von Ilka Kops diesen Schritt nicht mit. Sie verbleiben leider viel zu sehr in den 80-er Jahre des 19. Jahrhunderts.

Willert traut seinem Publikum was zu. Er lässt seine Darsteller nicht mit dem Zeigefinger agieren. Die Zuschauerinnen und Zuschauer dürfen ganz allein zu der ernüchternden Erkenntnis kommen. Dafür setzt er entscheidende Augenblicke, deren Aha ein kurzes Schweigen folgt. So kann das Erschrecken nachhallen und wirken.

Im dritten Akt kippt die Handlung, die Front der Reformer bröckelt und Peter Stockmann nimmt das Heft des Handelns an sich. Sei es das Auftauchen der Aktentasche oder Tomas Stockmann in der Kreuzigungshaltung. Dieser Abschnitt ist gespickt mit diesen Aha-Szenen und dadurch gewinnt ie Aufführung noch einmal Tempo.

Erst Heiligsprechung, dann Kreuzigung: Billing,
Tomas Stockmann, Hovstadt und Aslaksen. Foto: Aurin
 
Das Kolosseum in Billy-Optik. Das Bühnenbild von Alexandra Pitz liefert die passende Arena für das Kesseltreiben. Die übermenschlich hohen Regale, verkleidet mit Milchglas, sind Wandelhalle und Heimstätte zugleich. Dennoch wirken die Darstellerinnen und Darsteller immer eine Nummer zu klein, so wie die Geschichte, die sie da lostreten, eine Nummer zu groß ist für sie. Wenn sich die Bühne dann wie ein Karussell dreht, dann ist es eine weitere Rotation in der Abwärtsspirale.

Die Musik von Christoph Coburger wirkt als Vorbereiter der Entscheidungen. Aus dem minimalen Klangteppich wird ein rhythmisches Klopfen. Da setzt die Musik aus, die entscheidenden Worte fallen, und die Stille wirk nach. Ein überzeugendes Konzept.

Tomas Stockmann ist nicht nur im Besitz der einzig selig machenden Wahrheit, in seinem Idealismus steckt auch jede Menge Egozentrismus und vor allem Sucht nach Genugtuung. Es geht ihm nicht nur um die Sache, sondern auch um seine Person und um Gutmachung für jahrelange Schmähungen. Gabriel von Berlepsch macht diese Zwiespältigkeit erlebbar.

Immer lauter und immer steifer. Er steigert sich in Stimme und Gestik immer mehr in den vermeintlichen Triumph. Sein fordernder Auftritt mit Hohlkreuz in der Redaktion ist an Selbstgefälligkeit kaum zu überbieten. Übertroffen wird dies nur durch die genießerische Miene im Augenblick der Seligsprechung durch die Redakteure Hovstadt und Billing. Jetzt kann Stockmann nicht mehr zurück und hierin liegt die Tragik seiner Persönlichkeit. Auch er instrumentiert die Wahrheit und stürzt wie Ikarus. Das kann von Berlepsch verdeutlichen.

Auch darstellerisch ist Peter Stockmann hierzu der Gegenentwurf. Die Euphorie seines Bruders konterkariert er mit Besonnenheit. Marco Matthes agiert mit einer Stimmen in der mittleren Lage und mit einer sparsamen Gestik. Seine Hände bleiben stets in der Nähe des Torso und die Mimik im kontrollierten Bereich. Damit macht Matthes deutlich, dass Peter Stockmann eben die Kontrolle behält. In den entscheidenden Szenen senkt sich seine Stimme auf das Zuflüstern des Verräters, gewissermaßen ein Jago im Kostüm des Biedermannes. Das ist vielleicht die reifste Leistung in dieser Aufführung. Wenn er noch argumentiert, dass die Allgemeinheit die Verluste der Unternehmer tragen müssen, dann ist diese Inszenierung in der Jetztzeit angekommen.

Hart an der Grenze zur Karikatur hat Gregor Schleuning seinen Druckereibesitzer Aslaksen als Prototyp des Kleinbürgers angelegt. Da ist immer wieder das genüssliche Streichen über den eigenen Schnurrbart und die joviale, leicht geneigte Körperhaltung. Das Ganze ist so eingängig, dass das Publikum schon beim dritten Mal vorausahnt, dass Aslaksen zur Mäßigung aufruft.

Kolosseum in Billy-Optik: Die Arena für die Brüder
Stockmann.   Alle Fotos: Thomas Aurin
Komplettiert wird das Feld der Kleinbürger mit den Redakteuren Billing und Hovstadt. Als die Stunde gekommen scheint, bricht sich ihr revolutionärer Eifer ungeahnte Bahnen. Im Grunde unfähig zu Tat projizieren sie ihre Sehnsüchte auf Tomas Stockmann als Messias. Gerade Florian Donath macht als dieses zweifelhafte Verhalten begreifbar. Er fällt nicht nur wie ein Kartenhaus zusammen, auch seine Stimme schafft den Bruch vom Revoluzzer zum Duckmäuser ohne Verlust. Vatermörder und Kneifer sind sein natürliches Habitat und seine Anspannung entlädt sich im dem Zwang, anderen den Nacken massieren zu müssen. In dieser Übersprunghandlung liegt ein schöner Wiedererkennungswert.

 Motive und Persönlichkeiten der Kontrahenten bloßgelegt, damit hat Willert mit seinem Volksfeind über die Zeit und über das Thema hinausgewiesen. Deswegen ist diese Inszenierung so sehenswert.






Material #1: DT Göttingen - Der Spielplan
Material #2: Ein Volksfeind - Erläuterungen zum Stück


Material #3: Ein Volksfeind - Der Eintrag bei wikipedia
Material #4: Henrik Ibsen - Die Biografie
   


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