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Dem Tod die Stirn bieten

Ewig jung: Eine grandiose Komödie

Bitterböse und eigentlich zutiefst traurig, aber dennoch ein folgenschwerer Angriff auf die Lachmuskeln ohne dabei in den Klamauk abzudriften. Die Uraufführung von "Ewig jung" im Neuen Globe in Schwäbisch Hall hat das Zeug zu einem Klassiker. Das liegt an der überzeugenden Inszenierung ebenso wie an den großartigen Schauspielern.

"Wir sind die letzten von hundertzehn - wir warten bis die Zeit vergeht", dichtete einst Herwig Mitteregger für Spliff in "Deja vue". Diese fünf Akteure sind zwar die letzten ihrer Art, aber alles andere als passiv. Das macht die Komödie von Erec Gedeon glich zu Anfang deutlich

Wir schreiben das Jahr 2059. Vierzig Jahre nach der Eröffnung des Neuen Globes treffen sich die letzten Überlebenden der Erstbesetzung. Es sind die Damen Becker und Hanimyan und die Herren Eickelmann, Friedrich, Kraus und Weiler. Regelmäßig treffen sie sich zur Vergangenheitsbewältigung der besonderen Art. Dazu kommen die Schwester Anja als Aufseherin und der liebe Herrgott darf auch nicht fehlen.

Ordentlich was los im Heim für alternde Mimen.
Alle Fotos: Uluf Arslan
Das Mobiliar erfüllt alle Klischees eines Altersheims. Die Sitzgelegenheiten sind abgerockt und das grüne Sofa ist eine Reminiszenz an Loriot. Dazu kommen falsche Blumen und neben der Tür steht eine Urne. An der Wand hängen die Portraits der Verstorbene und rechts steht eine Heimorgel Marke "Franz Lambert".

Die Architektur des Globes ist Herausforderung und Chance zugleich. In der ersten Etage agiert Schwester Anja in einem Krankenzimmer aus den Zeiten des Wirtschaftswunder und in der zweiten Etage thront über allem ein recht entspannter Gott, der sich auf die Rolle des stummen Kommentators beschränkt.

Schwester Anja betritt den Raum. sie inspiziert und richtet her. Das nächste Treffen der Veteranen steht an. Ihre Vorbereitungen wecken Erinnerungen an den 90. Geburtstag von Miss Sophie. Damit bauen sich die ersten Erwartungen im Publikum auf. Sie sollen nicht enttäuscht werden.

Dann schlurft Stephan Kraus in der Rolle des Herrn Kraus herein. Fast jeder spielt sich hier selbst, darin liegt ein besonderer Reiz. Pantoffeln an den Füßen und die Hose ständig im Rutschen begriffen wird er von Schwester Anja an seinen Arbeitsplatz geführt. Dazu brabbelt er unverständlich vor sich hin. Herr Kraus hat auch dieses Mal die musikalische Leitung des Nachmittags inne.

Eigentlich darf man ja nicht über solch ein Bild des körperlichen Verfalls lustig machen. Aber Regisseur Thomas Goritzki hat die Personen so sehr auf die Spitze getrieben, dass man keine falsche Scham walten lassen sollte. Die durchweg starken Leistungen der Schauspielerinnen und Schauspieler bewahren nicht nur die Würde der Figuren. In ihrem trotzigen Kampf gewinnen sie sogar dazu. Diejenigen, die auf der Bühne so oft gestorben sind, wehren sich erfolgreich gegen den Verfall. Und das machen sie auf zwerchfellerschütternde Weise. Butler James und Miss Sophie können in Ruhestand gehen

Geliebtes Holzbein.
Alle Fotos: Uluf Arslan
So gehört der unverständliche Monolog am Beginn des zweiten Akts zu den Höhepunkte dieser Inszenierung. Stephan Kraus reiht Laut an Laut, bleibt sauber in der Betonung, aber eben ohne Botschaft. Als Dirk Weiler die Tirade mit der Frage "Und dann?" kommentiert, wechselt das Skurrile schlagartig ins Absurde.

Dann betreten die alten Kempen die Arena. Jeder hat sein Handicap zu tragen und jeder hat gelernt damit umzugehen. Aber oft genug stellt die Behinderung den Akteuren ein Bein und dann purzelt mancher auch schon mal von der Bühne.

Es wird überhaupt viel gepurzelt und gefallen und der Slapstick-Anteil ist recht hoch. Aber sie machen alle Akteure machen das mit ihrer Form der Würde.

Es ist ein rasantes Stück, in der ein Gag den anderen jagt und manches wird zum Running Gag. Aber manchmal ist es besonders eindrucksvoll, wenn eben nichts passiert. Wenn Herr Eickelmann minutenlang nach Worten ringt, um dann doch nichts zu sagen, dann ist das ein gekonntes Spiel mit den Erwartungen des Publikums. Wenn Herr Krause den Fernsehsessel in all seinen Varianten ausprobiert, ist das Pantomime auf hohen Niveau.

Das spricht für eine ausgefeilte Dramaturgie Vor allem dann, wenn auf Ulk schlagartig bitterer Ernst und der Schock auf den Spaß folgt. Alles Lachen stirbt, als Herr Eickelmann mit einem Golfschläger den Schädel von Herrn Friedrich zertrümmern will und doch nur die Prothese von Frau Hanimyan trifft.

Das falsche Beine schlittert über die Bühne und Alice Hanimyan rollatort hinterher. Unter dem Klängen von "Barbie Girl"  wiegt sie das gute Stück in den Armen. Die Dekonstruktion des schönen Scheins erreicht ihren Höhepunkt.

Bis dahin hat es jeden erwischt. Das geschieht spektakulär wie bei der Prothesen-Panne oder mit kleinen Mitteln wie im Falle Frau Becker. Diese lenkt die Geschicke wie eine Regisseurin und zeigt sich von den Folgen des Alters unberührt. Bis ihr ungeschickter Gatte ihr die Perücke vom Kopf zupft und Frau Becker dasteht wie ein gerupftes Huhn.

Born to be wild again.     Foto: Uluf Arslan
Es ist durch eine lebensnahe Gruppe, die die Bühne im Neuen Globe bespielt. Sie wird zusammengehalten aus einer Mischung von Solidarität und Konkurrenz und jede und jeder hat seine eingespielte Rolle. Man kennt sich und die Macken des anderen eben schon seit mehr als 40 Jahren.

Aber die Dramaturgie hat noch andere Kniffe auf Lager. Nach der Pause ändert sich die Stimmung schlagartig. Aus dem gemütlichen Seniorennachmittag wird eine offene Rebellion.die beginnt mit dem herrlichen Terzett von Friedrich, Weiler und Eickelmann zu "Born to be wild" und mündet in der Erschießung von Schwester Anja. Zwischendurch groovt der liebe Herrgott noch zu "I will survive" und die Asche von Christine Dorner wird als Puder eingesetzt. Das ist Nonsens auf himmlischem Niveau.

Solche Höchstleistungen fordern ihren Tribut und damit setzt das Massensterben ein. Mit verdrehten Shakespeare-Zitaten sinken alle dahin. Es sind eben Schauspieler durch und durch und deswegen war auch das Theater. Das Spiel mit den Erwartungen des Publikums nimmt eine erneute Wende. Der Rest ist Lachen.











Material #1: Freilichtspiele Hall - Das Programm
Material #2: Ewig Jung - Das Stück





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