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Verzaubert mit viel Lyrik

Lenz inszeniert die Zauberflöte in Nordhausen

Das Tiefstapeln war rein taktischer Natur. Mit seiner Inszenierung der Zauberflöte hat Achim Lenz die Erwartungen mehr als erfüllt. Starke Sängerinnen und Sänger trafen bei der Premiere auf ein Loh-Orchester in Spiellaune. Nach anfänglichem Fremdeln war das Publikum begeistert.

Die Ansprüche sind unterschiedlich. Mozart vorletztes Bühnenwerk ist für die einen ein Menschheitswerk wie der Doktor Faust. Andere sehen es etwas nüchterner und für sie ist die Oper um zwei ungleiche Paare, die Erlangung der Weisheit und die Macht der Liebe ein unterhaltsames und lehrreiches Wechselspiel.

Achim Lenz sieht es vor allem als Schatz mit vielen Ideen und Anregungen. Ein paar hat aufgegriffen, ein paar neue hat er hinzugefügt. Vor allem hat er Schauspiel in das Singspiel gebracht. Seine Sängerinnen und Sänger agieren regelrecht, miteinander und gegeneinander. Der Schauspiel-Anteil ist erfreulich hoch.

Tamino und ein Fan-Club.
Alle Fotos: Marco Kneise
Schon in der Ouvertüre präsentiert das Loh-Orchester den besonderen Helmrath-Sound: Behutsam und akzentuiert. Ein Wohlklang in Es-Dur erfüllt den Raum. Dem Loh-Orchester gelingt es, die Lieblichkeit dieser Tonart zur Geltung zu bringen. Das zieht sich durch bis zum Finale des zweiten Akts.

Die Videoprojektion zeigt das Werden und Vergehen einer Dieffenbachia. Mit ihrer vielfältigen Bedeutung steht die Pflanze sinnbildlich für die unterschiedlichen Rezeptionen dieser Oper der tausend Themen. Eindeutig ist hingegen die Szene der Keine während des Pamina-Papageno-Duetts. Zum Teil gestalten die Projektionen einfach den Raum und reduzieren die Umbauarbeiten auf ein Minimum.

Der Vorhang gibt den Blick frei auf eine Industriebrache. Das ist die Welt der König der Nacht, Zerstörung allerorten. Deswegen ist Tamino auch gekleidet wie ein Krieger und bleibt es bis zum Schluss. Kyounghan Seo liefert in dieser Rolle eine technisch saubere Leistung ab und auch den Ausdruck entdeckt er zusehends. Die Bremse früherer Inszenierungen scheint gelöst.

Diese Aufführung ist durchweg glänzend besetzt. Das beweisen schon die drei Damen der Königin. Stimmlich harmonierend zeigen sie auch Schauspieltalent und der Schulterklopf-Reigen ist belebende Komik und ihr Interesse an den Helden ist ganz bestimm nicht platonischer Natur. Es lohnt sich, auf die kleinen Gesten zu achten. Ganz in schwarz gekleidet wirken sie wie der Background Chor einer finsteren Soul Queen. Überhaupt hat Birte Wallbaum hier eine großartige Ausstattung vorgelegt.

Pamina und Papageno wären das bessere Paar.
Alle Fotos: Marco Kneise
Die Zauberflöte ist Menschheitsepos und munteres Possenspiel. Das macht Philipp Franke als Papageno deutlich. Hier paaren sich eine starke Gesangsleistung mit schauspielerischen Talent. Er beherrscht das Protzen ebenso wie die Verzweiflung und die Schicksalsergebenheit. Damit verschiebt Franke den Fokus eindeutig.

Dies wird im Duett mit Amelie Petrich als Pamina deutlich. Es taucht der Gedanke auf, dass diese beiden doch weitaus besser zueinander passen würden.Doch diesem Schritt über die Klassenschranken wird letztendlich nicht gewagt.

Trägt Papgeno den Keim der Erkenntnis in der Glaskugel noch im ersten Akt mit sich, wird ihm dieser beim Eintritt in den Tempel abgenommen. Volksweisheit zählt nicht in der Gesellschaft der erwählten Männer. Die haben zwar kein Brett vorm Kopf, aber einen eisernen Vorhang im zweiten Akt. Details sagen manchmal mehr als die Arie.

Eine weitere Überraschung ist Marian Kalus. Die Rolle des Monostatos ist in aller Regel recht begrenzt. Doch Kalus arbeitet alles heraus und legt noch mehr hinein. Eigentlich konzipiert als das Alter Ego des strahlenden Sarastro macht Kalus daraus eine eigenständige Figur. In einer Welt des Händchen Haltens und der Gänseblümchen-Erotik ist er der Einzige, der seine Begierde nicht kultivieren möchte.

Gänseblümchen-Erotik ist nichts für Monostatos.
Alle Fotos: Marco Kneise
Schauspiel hin und her. Die besten Gesangseinlage liefert an diesem Abend  Sufin Bae als Königin der Nacht. Ihr Auftritt im ersten Akt ist schon eine starke Leistung, denn sie mit der Mord-Arie im zweiten Akt noch steigert. Ohne Zittern und klar kommt sie in die höchsten Höhe und die Koloraturen der zweiten Arie sorgen für Staunen im Publikum. Vielleicht wäre hier ein Dwäääng-Gitarren-Solo auf der Stratocaster angebracht. Doch der Schritt über die Genre-Grenzen wird letztendlich nicht gewagt.

Ist der erste Akt für die Traditionalisten noch schwer verdaulich, versöhnt sie der zweite Akt. Das Tempo geht deutlich zurück, das Bühnenbild schaltet von Industriebrache auf Lobby-Optik um. Aber es zeigt sich hier auch noch Potential für eine fokussierte Erzählung.

Es sind vor allem die lyrischen Momente dieser Aufführung, die so verzaubern. Dazu gehören die Auftritte der drei Knaben. Sie faszinieren nicht durch die außergewöhnliche Optik. Sie sorgen auch für das Innehalten und Reflektieren, schließlich tragen sie den Müll der Welt mit sich. Das ist ein starke Aussage und eine gelungene Dramaturgie.




Material #1: Theater Nordhausen - Der Spielplan
Material #2: Die Zauberflöte - Die Inszenierung

Material #3: W.A. Mozart - Die Biografie
Material #4: Die Zauberflöte - Das Werk

Material #5: Achim Lenz - Die Website




    

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