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Jane Eyre verharrt im Mittelfeld

 Uraufführung des Musicals kann nur bedingt überzeugen

Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht. Diese alte Weisheit gilt zum großen Teil für das neue Musical am Theater Nordhausen. „Jane Eyre“ verharrt im Mittelfeld. Die Inszenierung hat wenige Höhepunkte und einige Schwachstellen.

Dabei waren die Erwartungen hochgesteckt, denn das Musical nach dem gleichnamigen Roman von Charlotte Brontë erlebte in Nordhausen seine deutsche Erstaufführung. Am Ende überwiegt die Freude, endlich mal wieder Theater vor großem Publikum erleben zu können.

Die Geschichte reiht sich ein in die Gefühlswirren der Romantik. Eine junge Frau mit schwerer Kindheit hat immer noch so viel Liebe in sich, dass sie einen verbitterten älteren Mann wieder auf den rechten Weg führt und am Ende auf die Allee in das gemeinsame Happy End einbiegt.

Kommerziell war es der größte Erfolg von Charlotte Brontë. Die vermeintliche Autobiografie wurde 1847 schon kurz nach dem Erscheinen zum Bestseller. Zumindest im englischsprachigen Raum ist „Jane Eyre“ ein fester Teil der Popkultur. Wikipedia listet immerhin 24 Verfilmungen und 5 Musiktheater auf. So haben auch Paul Gordon und John Caird den Stoff 1995 in ein Musical umgearbeitet. Die Uraufführung war im Jahr 2000 am Broadway.

Zwei, die noch nicht wissen, dass sich
gesucht und gefunden haben.
Alle Fotos: Julia Lormis
Dabei geht dem Stück vieles von dem ab, was man sich von einem Musical erhofft. Da swingt nichts, da bebt kein Tanzboden, da jubelt kein Chor. Stattdessen reiht John Caird eine Pop-Ballade an die andere. Bei drei Stunden Aufführungsdauer wirkt dies schnell monoton. Die einzige Abwechslung ist die Ballszene zur Mitte der Aufführung. Da wird wenigstens gewalzt.

Gordon und Caird haben das Stück als Einakter konzipiert. In Nordhausen hat man zwei Akte daraus gemacht und eine Pause dazwischen gestellt. Leider gibt es keinen Cliffhanger.

Der erste Akt zieht sich 75 Minuten hin mit der Exposition der für die Romantik so typisch affektierte Gefühlslage. Im zweiten Akt überschlagen sich die Ereignisse. Da reiht sich dann eine Überraschung an die andere. Die Inszenierung schaltet gleich zwei Gänge höher.

Die literarische Vorlage hat mehr als 170 Jahre auf der Uhr, Als, was machen die Gefühlsqualen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts so attraktiv für die Digitalmoderne? Es ist die Überforderung mit den Umständen einer sich rasch wandelnden Zeit. Der Mensch sieht sich als Objekt des Schicksals und dunkler Geheimnisse.

Dabei findet sich im Roman eine kleine Geschichte der Emanzipation, zumindest in dem geringen Umfang, die das 19. Jahrhundert für Frauen wie Jane Eyre bereithielt Das geht hier völlig unter.

Es dauert ein wenig, bis sich Eve Rades in die Titelrolle eingesungen hat. Aber dann kann sich stimmlich und voll umfänglich überzeugen. Aber an der Gestik und Mimik sollte sie arbeiten. Den Kopf stets gesenkt, die Arme hängend und die Schultern immer nach vorne gezogen macht sie sich kleiner, als es der Rolle guttut.

Ähnliches gilt für Jonas Hein der Rolle des Edward Fairfax Rochester. Sein erstes Solo ist ein echter Wachrüttler, das erste Duett mit Eve Rades entlarvt die beiden als ideales Paar. Aber auch er wird mimisch leider auf die Rolle des Dauerleids reduziert. Solch eindimensionale Figuren wirken wie Holzschnitte und nicht wie Menschen aus Fleisch und Blut. Immerhin gelingt es Rades und Hein deutlich zu machen, dass hier zwei Figuren ihren Auftritt haben, die an der Welt und vor allem an sich selbst leiden

Einzig Amelie Petrich darf in der Rolle der Blanche Ingram aus der Reihe tanzen. Mehr von diesem Elan hätte der Inszenierung gutgetan. Ihr Ballszenen-Solo ist zudem das vokale Highlight der Aufführung.

Es gibt durchaus farbige und fröhliche
Momente.         Foto: Julia Lormis
Zumindest zur Premiere schränken die Klangprobleme den Genuss deutlich ein. Die Sänger und Sängerinnen sind in der ersten Hälfte fast nur über die Lautsprecher zu hören und die klingen an diesem Abend als wären sie aus dem Jahr 1847. Da fehlen die Bässe, da fehlen die Höhen, da damit fehlt die Dynamik. Mit dem Chor in der Ballszene ist die Anlage komplett überfordert.

Mit „Jane Eyre“ treibt Regisseur Ivan Alboresi seine Vorliebe für düstere und finstere Inszenierungen auf einen neuen Höhepunkt. Die Lichtsetzung kann man bestenfalls als sparsam bezeichnen. Weite Teile der Bühne verschwinden schlicht im Dunkel. Alle Farbigkeit ist verbannt. Es gibt nur schwarz, weiß und jede Menge Grau dazwischen.

 Vielleicht hätte H.P. Baxxter seine Freude an der Inszenierung. Das Bühnenbild hat den Charme eines Techno-Clubs der späten 90-er Jahre. Die mit Silberlack übersprühten Kacheln sind eine ständige Überforderung für das Auge. Der Kontrast zu den historisierenden Kostümen funktioniert nicht so recht.

Wenn Alboresi und Bühnenbildner Pascal Seibicke Gefängnisatmosphäre erzeugen wollen, ist ihnen das gelungen. Schließlich sind die Akteure ständig Gefangene ihres Standes und der Umstände. Es bedarf erst einer Geistesgestörten, um dieses Gefängnis niederzubrennen. Damit geben Ivan Alboresi und Seibicke ihren Kommentar zu einem Lebensgefühl ab, das sich in der Romantik wie in der Digitalmodernen auffällig gleicht.

 

 

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