Dienstag, 21. Juni 2022

Weitaus mehr als Standard A und Standand B

NDR Ensemble überzeugt mit anderer Sicht auf Gewohntes

Das war der Schritt in eine neue Dimension. Die Elphcellisten gastierten zum ersten Mal bei den Walkenrieder Kreuzgangkonzerten. Weil sie eine andere Sicht auf Orchestermusik zeigten, hinterließen die 11 Hanseaten ein begeistertes Publikum.

In diesem Ensemble haben sich 2017 elf Musikerinnen und Musiker zusammengefunden, die ansonsten für den NDR die Elbphilharmonie bespielen. Alle bringen das gleiche Instrument mit, nämlich jeweils ein Cello. Da taucht die Frage auf: Wie kann man nur auf die Idee kommen, ein Ensemble zu gründen, das nur aus lauter Stehgeigern besteht. Schließlich ist das Cello nach Vivaldi und Bach in den klassischen Hintergrund geraten. Das Angebot an Literatur für dieses Instrument ist überschaubar und viele zitieren gern Dvorak Sentenz vom unten brummen und oben quietschen.

Nach dem Gastspiel in Walkenried muss man die Frag stellen: Warum hat es mehr als 500 Jahre gedauert, bis jemand den Geistesblitz hatte, ein Orchester nur mit Celli zu bestücken?  Die Elpcellisten zeigten mehrfach die gesamte Vielfalt des Instruments und was alles möglich im Zusammenspiel.

Dabei kommt dem Ensemble die Ausstattung des Instruments zugute. Mit vier Oktaven bietet es ein Spektrum, das anderen klassischen Streichinstrument verwehrt bleibt. Zudem liegt das Cello in etwa auf den Frequenzen menschlicher Singstimmen. Damit kann es bei den Zuhörerinnen und Zuhörern durchaus einschmeicheln

Das Programm   

Der Abend ist zweigeteilt und folgt einer einfachen und überzeugenden Dramaturgie. Der erste Teil des Programms gehört fast ausschließlich den Spät- und Neoromantikern, bis es im zweiten Teil deutlich rhythmusbetont wird.

Eine innige Beziehung.
Alle Fotos: Kügler
Den Auftakt machen drei Lieder des Schweden Hugo Alfvén. Im "Aftonen" ist zuerst die volle Wucht von elf Celli, die aber weich wie ein Welle der Ostsee daherkommt. Dann übernehmen drei Instrumente die Stimmführung, die anschließend von den Kolleginnen und Kollegen differenziert wird. Entsprechend des Titels stellt sich gleich dieses wohlige Abendgefühl im Publikum.

Das "Och jungfrun hon gar i ringen" kontrastiert und zeigt sich spielerisch und tänzerisch. Zum ersten Mal spielen die Elphcellisten den gesamten Tonumfang ihrer Instrumente zur Geltung. Im Wechselspiel wird deutlich, dass auch diese Ensemble über ein blindes Verstehen verfügt. Es kommt ohne sichtbares Dirigat aus und beweist damit technisch das höchste Niveau.

Der "Pseudo Yoik" des Zeitgenossen Jaaka Mäntyjärvi  ist aus anderem Holz geschnitzt. Hier klingt alles nach Folklore und die Celli verwandeln sich zumindest akustisch in Fiedeln. Als dann auch noch die Absätze des Ensembles auf die Bühne knallen, ist man zumindest mental auf einer Tanzveranstaltung. 

Der "Valse triste" von Jean Sibelius entwickelt sich erst langsam aber dann gewaltig. Gezupfte Celli legen die Basis für die sanften Streicher. Nur sehr leise ist der Walzer zu hören. Doch dann brandet aus dem Tutti eine umwerfende Dynamik heraus und der anfangs so verhaltene Walzer endet in einem wahren Klanggewitter. Jetzt wird klar, dass das Cello wie geschaffen ist für Räume wie den Kreuzgang in Walkenried. Architektur und Instrument gehen hier ein Symbiose voller Klanggenuss ein. Da braucht es keine Elektrik. 

Eben gerade noch eine Wand aus Klang, nun ein transparentes Klanggewebe. Im Präludium zu Griegs Suite "Aus Holbergs Zeit" scheinen die Musikerinne und Musiker Hummeln im Hintern zu haben. Aber im tänzerischen Miteinandern ist jedes einzelne Insekt deutlich zu hören. Niemand dominiert hier den anderen. 

Auch das Air ist vom Wechselspiel der elf Freunde geprägt. Im Arrangement erinnert es an Bach. Über dem Continuo variieren kurze Soli ein Thema. Dabi nutzen die Hanseaten wieder den gesamten Tonumfang. Zum ersten Mal stellt sich an diesem Abend die Frage: "Wer braucht eigentlich ein komplettes Orchester wenn er die Elphcellisten hat?"

Noch vor der Pausen gibt es mit "Los trajabadores agricolas" von Alberto Ginastera den Systemwechsel. die Träumereien sind vorbei, es wird rhythmischer. Das Tutti überrascht das Publikum mit einer Wand von Wohlklang. Aus dem Staccato differenziert sich das Klangbild deutlich. Am ende steht Wechselspiel zwischen links und rechts mit sehr viel Flamencogefühl

Nach der Pause

 Das Intermezzo aus der "Cavalleria rusticana" von Pietro Mascagni bringt noch einmal ein Wechselspiel. Vier Celli auf der linken Seite beginnen mit einer leichten Melodie, dann zupft die Mitte zweimal und auf der rechten Seite antworten vier Celli mit derselben Melodie. Dann wird in der Mitte wieder gezupft und es geht links weiter. Wieder tänzerisch und luftig. So muss sich ein Ausflug auf dem Land anhören wenn man mit dem Pferd unterwegs ist.

Das Cello kann fast alles, selbst Tango. Das zeigen die Elphcellisten mit den drei Stücken von Carlos Garciá. Erst wird geschmachtet, dann gezürnt und zum Schluss versöhnt. Immer wieder entwickelt aus dem Staccato der Tutti ein Dialog. Die Celli bewältigen die Gefühlsausbrüche des Tangos wunderbar. Das Instrument ist wie geschaffen für die explosiven Stimmungen und expressiven Sprünge in diesem Genre. 

Die "La Peregrinación" von Ariel Ramirez führen dann in ruhiges Fahrwasser zurück. Mitte rechts legt ein Cello mit perlenden, elektronisch anmutenden, gezupften Tönen die Basis für die weichen Streicher. Im Wechselspiel entwickeln sie eine Melodie, die an einen klassischen Chanson erinnert. Ohne Wehklagen singen die Instrumente von der Schönheit des Lebens an einem lauen Abend im Sommer. Augen zu und träumen lautet die Empfehlung. 

Die Enttäuschung ist an diesem Abend der erste Teil der West Side Story-Trilogie. Der "Maria" fehlt die Expressivität dieses Schmachte-Klassikers. Erst im "Dance" können die Elphcellisten wieder mit der Melodie-Entwicklung glänzen. Aus dem Tornado des Tutti schält sich Schicht um Schicht ein Blues heraus, der sich Ton für ton für Ton in Wohlgefallen auflöst.

Der abschließende "Mambo" zeigt noch einmal den ganzen Spaß, den die Musikerinnen und Musiker am eigenen Tun haben. Der Funke springt schon beim ersten Refrain auf das Publikum über. Das erklatscht sich dann auch eine Zugabe.

Dieses Gastspiel hat gezeigt, dass es sich für alle Beteiligten lohnt, in scheinbar sicheren Gefilden mal eine andere Route zu nehmen. Nur so gewinnt man neue Perspektiven. Wenn der Akt der neuen Erkenntnisse wie an diesem Abend mit jeder Menge Spaß auf beiden Seiten verbunden ist, dann kann man mehr nicht wollen.




  


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