Montag, 22. Juli 2024

Dieter Nuhr offenbart sich als Menschenfreund in Vollzeit

In Goslar zeigt er Werke, die Distanz schaffen

Seit dem Auftritt von Christo hat keine Werkschau in Goslar solch ein Aufsehen erregt. Dieter Nuhr stellt dort aus unter dem Titel „Du denkst an durchfahrene Länder“. Es geht um Menschen und Landschaft, denen der Mann vom Niederrhein auf seinen Reisen um die Welt begegnet ist. 

Zur Vernissage am 21. Juli war der Garten im Mönchehaus Museum bis auf den wirklich allerletzten Platz belegt. Direktorin Bettina Ruhrberg und Dieter Nuhr machten im Einführungsgespräch deutlich, dass man den Kabarettisten und Künstler voneinander trennen sollte, auch wenn es nicht immer gelingt. Schließlich geht es um zwei Seiten derselben Person. 

Dieter Nuhr begann sein Studium als Kunstlehrer 1981 an der Folkwangschule in Essen. Er wollte Künstler werden, sein Vater bestand auf den Lehrer. ein typischer Kompromiss für die alte Bundesrepublik der 70-er und 80-er Jahre. Dass er dann Kabarettist geworden ist, bezeichnete er als Unfall und dann als Glücksfall. Die Bühnenerfolg sicherten die ökonomische Basis für die künstlerischen Tätigkeiten.

Das dürfte seit geraumer Zeit nicht mehr nötig sein. Nuhrs Bilder und Zeichnung laufen wie geschnitten Brot. 55 Ausstellungen in den letzten 11 Jahren grenzen an Hyperaktivität. Seinen verspäteten Einstieg in das Ausstellungsgeschäft bezeichnet er als Zufallsprodukt aus dem Jahr 2008. 

Kunst und Kabarett, das will er eindeutig getrennt sehen. Das Mittel der Politik ist das Wort, das eindeutige Argument. Die bildende Kunst arbeitet mit dem Bild, mit dem Eindruck. Sie entzieht sich dem Eindeutigen und lässt mehreres zu. Das ist kein Eskapismus, sondern ein anderer Zugang zur Welt, eine andere Sichtweise, die der anderen vorgelagert ist.

Er mahnt auch zur Vorsicht. Das Wort ist an die Ratio gerichtet und damit eindeutig, das Bild wird an die Emotion gesendet und ist damit manipulativ

Nuhrs Bilder sind die Produkte seines Fernwehs. "Ich reise so gern, weil es die Distanz zur Heimat schafft", lautet eine seiner Erklärungen. Die Ferne schafft eine neue Perspektive auf Gewohntes, relativiert dessen Bedeutung und rückt vieles zurecht. Deswegen wohnt seinen Bildern auch etwas Meditatives inne.

Alles nur kein Vorbild

Dann wird Dieter Nuhr doch politisch und korrigiert das "Am deutschen Wesen soll die Welt genesen" der Oberbürgermeisterin. "Deutschland ist vieles, aber kein Vorbild für die Welt. "Der westliche Paternalismus hat in den letzten 60 Jahren viel Unheil in Afrika angerichtet", nennt er ein Beispiel.

Er korrigiert auch noch Aussage von Ruhrberg zum Anthropozän, des vom Menschen gemachten Zeitalters. Nuhr steckt tiefer in der Materie, als viele, die ihn angiften. Sein Diskurs ist aktueller als deren Argumente.

Reisen hat für Nuhr auch einen innere Funktion. Es Teil eines lebenslangen Prozess der Veränderung und des Lernen. Reisen schafft Begegnungen und Austausch. "Man geht dann auseinander und weiß, dass es einmalig war, dass man sich nie wieder treffen wird, aber es ist gut so", betont er. Visitenkarten oder Kontaktdaten tausche man in solchen Momenten nicht aus. 

Ständige Veränderung

Das mit der ständigen Veränderung meint er ernst. Die Werkschau "Von Ferne umgeben" ist seit zwei Jahren auf Tour, aber die Ausstellung im Mönchehaus in Goslar ist doch einzigartig. Seit 2022 sind einige Werke hinzugekommen, andere nicht zu sehen. Wer den Katalog kauft, wird dies feststellen. Im Gespräch betonten die Direktorin und der Künstler, dass die Exponate in dieser Zusammenstellung nur in Goslar zu sehen sind. „Du denkst an durchfahrene Länder“ ist eine eigenständige Ausstellung, kein Ableger, kein Duplikat. 

Es sind digitale Werk. Nuhr übermalt und überarbeitet und collagiert seine digitalen Fotos durchweg am Tablet. Er bringt Farbigkeit hinein und entzieht sie wieder. Teile eines Bildes werden zum Werkzeug für andere Bilder. Mitunter besteht ein Werk aus mehr als 100 Ebenen und zum Schluss hat er sich weit entfernt vom Ausgangspunkt.

Die Ausstellung ist thematisch zweigeteilt. Dominiert wird sie von den monumentalen Panoramabilder. Sie zeigen menschenleere Landschaft. Ihr Gigantismus wirkt auf den ersten Blick kontemplativ. Aber man sollte näher herantreten und sich Zeit nehmen für die Blicke ins Detail.  Der Wechsel von Gesamtperspektive und Detailtreue erlaubt es, sich in die Exponate zu versinken.

Das vermeintlich Bekannte ist bis an die Grenze verfremdet und zwingt deswegen zum Reflektieren und Neudenken. Manches ist rau und grob wie eine Cyanotypie. Anders mutet an wie eine Direktbelichtung, wie ein Papiernegativ. Auf dem Höhepunkt der Digitalen wird der Betrachter zurückgeworfen in die Anfänge der Fotografie.

In der Einführung macht Dieter Nuhr keinen Hehl aus seiner anfänglichen Skepsis dem Ausstellungsort gegenüber "Meine Bilder in einem Fachwerkbau, so etwas Großes in solch einem kleinteilige Gebäude, ich habe nicht gedacht, dass das funktionieren kann. Nun bin ich selbst überrascht", muss er zugeben.

Das eigene Kontrastprogramm

Kabarett und Kunst, zwei Seiten derselben Person. Landschaften und Portraits, zwei Seiten des Reisens. Auch das ist eine Goslarsche Spezialität auf dieser Tournee. Im Mönchehaus ist ein eigener Raum den Portraits gewidmet, die Nuhr aus seinen Fotos zieht. 

In lauten Zeiten überrascht er mit Sensibilität. Durch die weitgehende Abstraktion zieht er die Menschen aus ihrem Kontext. Das Motiv wird zum Individuum und ist nicht mehr Teile einer touristischen Staffage. Es wird nicht zum Objekt, sondern bleibt Subjekt weil der Mensch zugleich durch die grobe Strichführung als Person geschützt wird. Trotzdem legt Nuhr frei, was den Menschen, was die Menschen ausmacht.

Die Farbigkeit verschwindet zugunsten von schwarz-weiß. Mit der fortschreitenden Reduktion zeigt Nuhr, aus welch vielen Teilen der Kern des Menschsein besteht. Hinter dem Gelegenheitszyniker Nuhr steckt der Menschenfreund in Vollzeit. Dieses Prinzip tritt in den neueren Exponaten immer weiter in den Vordergrund und damit ist die Werkschau auch im dritten Jahr immer noch ein Prozess der Veränderung. Also bietet dieser intime Teil der Ausstellung den persönlichen Zugang zum bildenden Künstler Dieter Nuhr. 

Eine weitere Besonderheit kann Bettina Ruhrberg bei der Einführung noch stolz präsentieren. Bei allen digitalen Werken gibt es in Goslar eine analoge Premiere. Dieter Nuhr hat die Ausstellung im Mönchehaus um zwei Bleistiftzeichnungen von Menschen in traditioneller Technik ergänzt. Es war ihm wohl ein besonderes Anliegen. 

Die Daten 

"Von Ferne umgeben" ist noch bis zum 22. September im Mönchehaus in Goslar zu sehen. Geöffnet ist die Ausstellung dienstags bis sonntags von 11 17 Uhr. Das Museum befindet sich in der Mönchetraße. Zum Bahnhof sind es zu Fuß 900 Meter. Die nächstgelegene Bushaltestelle ist in der Marktstraße. Parkplätze gibt es vor Ort nur für Anwohner.

Derzeit läuft im Mönchehaus noch ein weitere Ausstellung mit Werken des mystischen Grafikers Friedrich Schröder- Sonnenstern. 



Verlinkt: Das Museum Mönchehaus in Goslar.

Verlinkt 2: Mehr Bilder gibt es hier.

Verlinkt 3: Das Interview zur Ausstellung gibt es hier.

                   











Dienstag, 16. Juli 2024

Turandot vergibt jede Menge Chancen

 Puccini-Oper wirkt wie Schülertheater

Es bleibt dabei. Mit der Oper "Turandot" setzt das Theater Nordhausen den Reigen der belanglosen Aufführungen fort. Dabei bietet doch gerade dieses Werk von Puccini dutzendweise Anknüpfungspunkte zur Jetztzeit. Stattdessen serviert Benjamin Prins eine Ausstattungsoper, der man den Staub von hundert Jahren anmerkt.

Puccini gilt als der letzte Vertreter des Verismo, also der italienischen Operntradition, auf der Bühne die gesellschaftliche Realität abzubilden. Aber auch er musste seine "Turandot" in die Vergangenheit und in ein fernes Land verlegen, um Kritik an der Gegenwart zu üben. Immerhin hatten zwei Jahre zuvor die Faschisten die Macht in Italien übernommen.

Somit kann man König Timur durchaus als Abbild des entmachteten Viktor Emanuel III. betrachten kann. Nächste Parallele: Wie die Faschisten berufen sich die neuen Opernherrscher auf eine tausendjährige Tradition.

Sohn und Vater können vorerst nicht
zueinanderfinden.        Alle Fotos: TNLos 
Als der neue Frauentypus der 1920er Jahre kehrt Turandot die Machtverhältnisse um. Als gewalttätige Feministin spricht sie von sexueller Selbstbestimmung und umgekehrten Geschlechterverhältnissen. Das hat Puccini so plakativ in seine Oper geschrieben, dass man wenigstens nicht übersehen kann. Dass Prinz Calaf am Ende mittel sexuellen Übergriffen einfach so und kommentarlos obsiegt, das verwundert schon.  

Daneben bietet das Werk noch einige Ansätze, um die Brücke in die Gegenwart zu schlagen, um deutlich zu machen, dass vieles, was uns heute Sorgen bereitet, schon in der Vergangenheit angelegt war. Stattdessen präsentieren die Schlossfestspiel eine historisierende Inszenierung, die in ihrer Harmlosigkeit bald schon ein Roll back ist. 

Benjamin Prins hat sich für die Schlussversion von Franco Alfano entschieden. Dort werden man Ende die alten Verhältnisse wiederhergestellt. Arturo Toscanini und Luciano Berio hatten andere Versionen für das unvollendete Werk aufgezeigt. 

Schon das Bühnenbild macht es deutlich. So viel Augsburger Puppenkiste gab es in Sondershausen nie. Die Bühne wirkt wie eine Szene aus "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer". Frau Mahlzahn ist besiegt und liegt im Hintergrund als der goldene Drache der Weisheit. Als im Schlosshof dieser Drache auch noch anfängt zu blinken, zu rauchen und zu sprechen, ist die Grenze zwischen Kitsch und Satire erreicht.

Gleiches gilt für die Kostüme. Anstatt die Anknüpfung an die Gegenwart zu suchen, verbleibt die  Ausstattung in einer Vergangenheit, die es so nicht gab. Die Palastwache und das Volk von Peking wirken streckenweise wie Mummenschanz.

Das Ensemble rettet die Inszenierung

Im krassen Gegensatz dazu stehen die Leistungen des Ensembles. Kyounghan Seo in der Rolle des Prinzen Calaf hat eine erstaunliche Entwicklung hingelegt. Seine stimmlichen Fähigkeiten hat er um ein beeindruckendes Repertoire an schauspielerischen Fähigkeiten erweitert. Er trifft nicht nur den richtigen Ton, er hat auch immer die die passende Geste und Mimik parat. Als Kraftpaket bildet er den Gegenpol zu Hye Won Nam als Turandot. 

Chaplins Brüder im Geiste. Alle Fotos: TNLos
Durch Kostüm und Maske begrenzt, begeistert sie aber mehrfach mit tollen Koloraturen. Mariya Taniguchi in der Rolle der Sklavin Liú liefert das Kontrastprogramm mit butterweichen Arien voller Gefühl. Senn sie nicht immer in gebeugter Haltung singen müsste, würden die noch ein wenig an Strahlkraft gewinnen.

Mit dem Pathos hat es Puccini bei seiner Turandot zu gut gemeint. Da kommen Ping, Pong und Pang als Antidot genau richtig. In den Rollen des Kanzlers, Marschalls und Küchenchef geben Florian Tavic, Jasper Sung und Marian Ka

lus der Inszenierung den Schwung, der ihr in den ersten dreißig Minuten fehlt. Ihr chaplinesken Auftritte geben der Aufführung das surreale Moment, dass die Inszenierung unbedingt braucht. Die drei Herren haben Spaß am Gesang und am Spiel und können diesen auch ans Publikum weiterreichen. 

      

   

Donnerstag, 4. Juli 2024

Der Himmel weinte ein wenig beim Konzert von Alsmann

Feucht-fröhliche Abschiedsparty im Kreuzgarten

Es waren Götz Alsmann und Band, die 2004 die Tradition der Open Air Konzerte bei den Kreuzgangkonzerten begründeten. Danach kamen der Hr. Doktor und seine Combo regelmäßig zu rauschenden Musikfesten nach Walkenried. Am Montag lieferte das Quintett noch einmal ab und machte deutlich, was ein Konzert der Extraklasse ausmacht. 

Im Gepäck hatte die Band das neue Album "Bei Nacht" und ist Grundlage des neuen Live-Programms. Nach vielen Versuchen in Rumba und Mambo macht das Ensemble damit einen Schritt zurück in Richtung Wurzeln. Es swingt, es jammt, es macht Spaß, die jazzigen Anteile dominieren und das ist gut so. Gemischt wird das ganze mit einem ordentlichen Schuss Schlager aus seinen besten Tagen.

Es zieht sich durch den ganzen Abend: Hier treffen sich Ausnahmemusiker auf Augenhöhe. Götz Alsmann am Piano und Schlagwerker Altfrid M. Sicking treiben sich zu fantastischen Soli an. Manchmal bleibt auch Platz für die anderen, aber weniger als in den Vorjahren



Das ist der Kern der Musik seit Urzeiten. Menschen kommen zusammen, entwickeln gemeinsam Ideen, tauschen Noten aus, jeder variiert ein wenig und zum Schluss trifft man sich wieder auf dem gemeinsamen Nenner. Trotz aller Routine haben Alsmann und sein Ensemble den Spaß an diesem Treiben nicht verloren und diesen Spaß geben sie an der Publikum weiter. Mehr kann man nicht erwarten. 

Das ist der Kern der Musik

Ob drinnen oder draußen, dank des überschaubaren Auditoriums und des direkten Kontakts zum Publikum sind die Kreuzgangkonzerte das allerbeste Forum für solche einmaligen Erlebnisse. Spontan und einmalig statt durchgeplant und beliebig, darauf kommt es an, wenn aus musikalischen Abenden bleibende Erinnerungen werden sollen.

Genau das haben Alsmann und Band geschafft und auch sie hatten ihren Spaß dabei. Das beginnt schon bei der ersten Nummer "Die Nacht, die Musik und dein Mund". Der Jazzschlager kommt locker und beschwingt daher und versetzt das Publikum von der ersten Note an in gute Stimmung. Man vergisst das Wetter und so soll es auch sein. 

Selbst das Trauerstück "In dieser Stadt" aus dem Repertoire von Hildegard Knef  kommt locker daher und Sicking und Alsmann probieren sich bei der Gelegenheit auch mal in Blues-Akkorden. Ausgerechnet bei der Referenz an die Beatles leisten sie sich einen Rückfall in Mambo-Zeiten. Aus "Yesterday" hatte Knut Kiesewetter einst "Gestern noch" gemacht. Die Alsmann-Version mit lateinamerikanischen Rhythmen nimmt dem Original und der Cover-Version den Zuckerguss und das ist gut so. 


Mehr als nur Musik

Was Alsmann einmalig macht, sind seine Moderationen. Das ist Schabernack auf halbwissenschaftlichen Niveau. Rasant und wortreich nimmt er das Publikum mit in sein Kopfkino. Der Doktor erfindet nicht nur Geschichten, sondern auch Worte. Keiner der Anwesenden wird je vergessen, wie einst die Schlager von Margot Hilscher im Archiv des WDR verschwanden, wie sich namhafte Musiker erfolglos darum bemühten, den Soundtrack von "Lieben Sie Brahms?" auf dem deutschsprachigen Markt zu etablieren. Die Erzählung von Horst Frank, Senta Berger und Vivi Bach aus den Zweiten des Agentenfilms ist so eindringlich, dass man gern glaubt, dass es den Streifen "Der Fluch des Tachagoti" wirklich gibt.

Das sind Fake News, aber Götz Alsmann baut die Versatzstück der Pop-Kultur der Nachkriegszeit so gut zusammen, dass man die Wahrheit gar nicht wissen will. Das ist wohl Natürliche Intelligenz. Die lässt sich auch nicht vom kleinen Regenschauer aufhalten. 

Das war's dann wohl

Immer wieder bedankt sich Götz Alsmann bei Thomas Krause und seinem Team. Das kleine Festival im kleine Garten ist dem großen Musiker und seinem Ensemble über 20 Jahre hinweg ans Herz gewachsen. Mehr Lob kann es kaum geben. 

Doch im nächsten Jahr steht der Kreuzgarten wegen Sanierungsarbeiten als Spielstätte nicht zur Verfügung. Zudem beendet Thomas Krause am Ende diesen Jahres seine Intendanz bei den Kreuzgangkonzerten. Wie es dann weitergeht, ist noch unklar.

Auf der anderen darf spekuliert werden, ob das Album " ... bei Nacht ... " das Opus magnum ist, mit dem sich Alsmann und sein Ensemble von den Bühnen verabschieden wollen. Dann darf sich das Publikum umso mehr freuen, Teil dieses grandiose Konzert gewesen zu sein.  




Blick ins Archiv


Die höchsten Weihen - Alsmann 2016 im Kreuzgang

Fliegen, singen, tanzen - Alsmann 2019 im Kreuzgarten

Die letzten ihrer Art - Alsmann 2022 im Kreuzgarten