Sonntag, 16. März 2014

Krieg der Worte als Selbstrechtfertiungsshow

TfN spielt Eine Stille für Frau Schirakesch


Es sei kein Stück über den Krieg,es gehe nur um Selbstrechtfertigung, benennt Autorin Theresia Walser den Kern ihres Werks "Ein Stille für Frau Schirakesch". Petra Wüllenweber hat am Theater für Niedersachsen daraus einen Krieg der Worte gemacht. Es wird messerscharf artikuliert und flächendeckend mit Formulierungen bombadiert, emotionale Kollateralschäden interessieren nicht, jeder gegen jeden heißt die Parolen. Am Ende gut dastehen, als Sieger aus der Schlacht hervorgehen, das ist das Ziel.
Petra Wüllenweber seziert die Einzelteile medialer Gegenwartsbewältigung im Jahre sieben nach "Sabine Christiansen". Damit legt sie Nerven blank und trifft den Kern des Stücks. Stellung zu beziehen, in diesem Krieg der Worte, der am Ende nur Verlierer kennt, bleibt dem Publikum vorbehalten. Petra Wüllenweber ergreift für keine der beteiligten Seiten Partei, das darf der Zuschauer machen und das ist gut so. Dahinter steckt für das Ensemble harte Arbeit am Text. Den jedes Wort wird auf die Goldwaage gelegt und dem anderen im Munde umgedreht. Das verlangt Konzentration und Sicherheit.
Die Bühne der Selbstdarstellung ist
 eine schiefe Ebene. Fotos: Hartmann/TfN
Das Schlachtfeld ist ein Fernsehstudio, Anlass ist die Steinigung von Frau Schirakesch in Tschundakar. Dort in ihrer Heimat hatte die Marktfrau einen Mullah falsch angeblickt. Dafür soll sie nun hingerichtet werden. Dies will Hilda Ludowsky zum Thema ihrer Talkshow machen, inklusive Live-Schaltung nach Tschundakar. Die Moderatorin hat sich fünf Gäste eingeladen.
Die beiden Models Heidrun und Ruth, waren Teilnehmerinnen  einer Schönheitskonkurrenz in Tschundakar. General Gert ist Oberbefehlshaber der deutschen Truppen. Soldatin Rose ist seit ihrem Einsatz in dem Bürgerkriegsland traumatisiert. Ihr Vater möchte Kapital schlagen aus dem Schicksal seiner Tochter. Wir haben es nicht mit Einzelpersonen zu tun, sondern mit den Stellvertretern des Mediensystem. Nur die Moderatorin hat Vor- und Familiennamen, alle anderen müssen auf einen Teil ihrer Identität verzichten.
Das Bühnenbild ist auf das Nötigste reduziert. Eine Weltkarte und ein paar Scheinwerfer symbolisieren das Fernsehstudio. Beherrscht wird die Szenerie von diesem riesigen Sofa, das Assoziationen an die besten Zeiten von "Wetten, daß..." weckt. Doch das Sitzmöbel ist auf einer schiefen Ebene und führt eher nach unten, als dass es festen Halt bietet. Mit diesen einfachen Mitteln ist Susanne Ellinghaus ein überzeugendes Zitat pop-kultureller Versatzstücke gelungen. Ein Stück, das beansprucht ungeschminkt die Wirklichkeit zu zeigen, muss auf raffinierte Licht-Akzente verzichten. Somit die Bühne, bis auf wenige Ausnahmen, in gleißendes, in schonungsloses, in gleichmachendes Scheinwerferlicht getaucht.
Schönheitskönigin Heidrun und Moderatorin Ludowski
bereiten den großen Auftritt vor. Foto: Hartmann
Das Stück beginnt als Countdown. Es sind nur noch 77 Minuten bis zur Steinigung, dann möchte die Moderatorin mit einem kollektiven Schweigen in die Sendung einsteigen. Einfach mal die Klappe halten zum Unsagbaren ist ein mutiger Einfall im Dauergeplapper der Talkshows. Doch je näher die Steinigung von Frau Schirakesch rückt, desto mehr entgleitet der Moderatorin die Kontrolle.
Dieses Werk über das Reden ist schwere Textarbeit mit dem wohlgesetzten Worten. Dies macht Simone Mende in der Rolle der Moderatorin Hilde Ludowski deutlich. Das Wortgefecht kann nur der bestehen, der die verbalen Waffen gut einzusetzen weiß und gut vorbereitet ist. Doch Simon Mende wirkt immer mehr, wie Goethes Zauberlehrling und die Geister, die sie rief. Ihre Hilflosigkeit gegen die Unmenschlichkeit der Hinrichtung drückt sie in einer versteinerten Gestik aus. Ihr einziger Haltepunkt sind Block und Stift. Als beide Requisiten über die Bühne fliegen, ist klar: Hier hat jemand aufgegeben.
General Gert ist der Kontrapunkt zum Gutmenschen Ludowski und Gotthard Hauschild spielt ihn, wie man sich einen Kommisskopp wünscht. Mit der Stimme immer am oberen Limit und im Befehlston. Selbst die Rechtfertigungsversuche seines Kreuzzuges gegen die Unmenschlichkeit bellt er in das Fernsehstudio. Damit verdeutlicht Hauschild, dass hier jemand verbale Rückzugsgefechts abliefert. Zum Schluss sind alle auf dem Rückzug und die Frage nach dem gerechtfertigten Krieg in Tschundakar bleibt unbeanwortet im Raum stehen.
Michaela Allendorf und Joëlle Rose Benhamou kosten ihren Zickenkrieg der Schönheitsköniginnen Heidrun und Ruth bis zur bitteren Neige aus. Beide schenken sich nichts und niemand steht der anderen in irgendetwas nach. Hier treffen zwei ebenbürtige Schauspielerinnen auf einander.
Sie alle vier sind Zeugen des Kriegs, aber keine Betroffenen. Helfen können sie der Totgeweihte nicht. Deswegen stehen sie unter permanenten Rechtfertigungszwang. In allen vier Figuren steck aber nur Verzweiflung, die sich ihre Bahnen bricht. Frau Schirakesch und ihr Schicksal sind für alle nur die Projektionsfläche der eigenen Hilflosigkeit.
Als Rose vom Sterben in Tschundakar erzählt,
ist die Talk-Runde überfordert.
  Foto: A. Hartmann
Rose hingegen ist ein Opfer. Die junge Frau kam traumatisiert vom Kriegseinsatz in Tschundakar zurück. Sie redet nicht viel, doch wenn sie spricht, hört ihr niemand zu. Hinter ihren verklausierten Bildern stecken schreckliche Erlebnisse, die keiner aus der Talk-Runde wirklich nachvollziehen kann. Als es kein Entrinnen mehr aus ihrer Hölle gibt und Rose alle mit ihren Erinnerungen schonungslos konfrontiert, da bleibt der Runde nur Ohnmacht und Übergeben. Ihr Vater gefällt sich in der Rolle des Dolmetscher, des Erklärers, doch im Grunde will sich mit dem Schicksal seiner Tochter profilieren. Dabei lässt er sich auf jedes Spiel ein und schlüpft sogar in eine Burka. Wenn es Charaktere gibt, die sich im Laufe der zwei Stunden entwickeln, dann eben Rose und ihr Vater. Alle anderen Figuren bleiben Gefangene ihrer selbst. Damit gehen die beiden komplettesten Rollen an Katharina Kwaschik und Dieter Wahlbuhl. Ihm bleiben die stillen Momente, die leise Ansprache in einer lärmenden Runde überlassen und das Übertölpelt werden im Dienste einer vermeintlich guten Sache. Dieter Wahlbuhl macht eben diesen Typus des nützlichen Idiotens greifbar.
Katharina Kwaschik hat das intensivste Spiel an diesem Abend zu bieten, durch alle Stadien der Erinnerung. Erst wortlost gefangen im Niemandsland zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Krieg in Tschundakar und Talkshow in Deutschland, bleibt ihr nur die Hysterie als Fluchtfahrzeug, um dann monoton und abwesend von der Verarbeitung der Schrecken zu erzählen: nachvollziehbar und damit eindrucksvoll.

Das Stück
Der TfN-Spielplan

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