Donnerstag, 21. März 2019

Erich Kästner mal als Skandalnudel

Deutsches Theater bringt Kästners Fabian auf die Bühne

Kinderbuchautor und Komiker, das sind die Etiketten mit denen Erich Kästner gemeinhin beklebt wird. Aber er konnte auch ganz anders. Das beweist die Inszenierung seines "Fabian" am Deutsch Theater in Göttingen. Doch die Premiere hinterlässt einen gemischten Eindruck.

Es sind unruhige Zeiten im Berlin Ende der 20-er Anfang der 30-er Jahre. Die Freiheit der Weimarer Republik trifft auf die Weltwirtschaftskrise. An jeder Ecke lauert die Entlassung. Die aufstrebenden Nationalsozialisten liefern sich Straßenkämpfe mit den Kommunisten.

In diesen Zeitenwechsel hinein veröffentlichte Erich Kästner 1931 seinen Roman "Fabian.Die Geschichte eines Moralisten". Zuvor hatte der Verleger ihm einige Zugeständnisse abgerungen, damit das Werk überhaupt erscheinen konnte. Den ursprünglichen Untertitel "Der Gang vor die Hunde" bekam das Werk erst bei der Neuauflage 2013 zurück.

Nicht nur inhaltlich auch stilistisch war das Buch eine Herausforderung für die Zeitgenossen. Mit kurzen Szenen, harten Schnitten und schnellen Wechseln imitierte Kästner den Stil eines Films. Ruth Messing greift diese Elemente reichlich auf in ihrer Inszenierung am Deutschen Theater. Das erfordert schon eine andere Sehgewohnheit.

Ein kleinbürgerliches Panoptikum.
Alle Fotos: Thomas Müller
Dabei beginnt die Aufführung eher beschaulich. Michael Frei ist der Mann am Klavier und improvisiert über ein bekanntes Thema. Gregor Schleuning sitzt im Bühnenbild und gibt eine lakonische Einführung in die Situation. Anleihen an den Film noir werden deutlich. Der deutsche Expressionismus der 20-er Jahre ist einer seiner Eltern.

Das Bühnenbild ist eine Herausforderung. Eine gekachelte Wand mit drei Nischen auf der Vorderbühne versperrt den Blick und will auch gar nicht verschwinden. Sollen hier Menschen zur Schlachtbank geführt werden wie in Upton Sinclairs "Dschungel". Ruth Messing reiht Bezug an Bezug, um so das Klima der Zeit zu verdeutlichen.

Die ungewöhnliche Position noch vor dem ersten Prospekt engt den Raum ein, auch für die Zuschauer. Klaustrophobie kommt auf. Man kann dem Spiel nicht entgehen. Im Laufe des Abends entwickelt es sich mit seiner Dominanz zum Schauspielverhinderungsbühnenbild.

Scheuning beginnt als Fabian einen Dialog mit den unbekannten Musiker und schlägt seinen Rat aus. Dann betritt Marius Ahrendt als Stephan Labude die Bühne und das Spiel wiederholt sich. Nun kommt Gaia Vogel als Cornelia Battenberg, das spiel wiederholt sich. Ein Prise absurdes Theater gefällig.

Alle drei klettern in das Bühnenbild und betreten unsichtbar das, was man heute einen Swingerclub nennt. Die sexuelle Befreiung fand in den 20-er Jahren statt und Kästners Vorlage spiegelt das wieder. In dieser Inszenierung wird Sex in all seinen Varianten zum bestimmenden Thema. Die ersten 30 Minuten finden nur zwischen den Beinen statt.

Der Kopf wird nur dann gefordert, wenn sich im schnellen Wechsel Szene an Szene reiht und Handlungen nebeneinander herlaufen. Das Sammelsurium zitiert die frühen Filme von Bunuel. Doch das Panoptikum ist nicht immer durchschaubar.

Die sexuelle Freizügigkeit ist zu sehr auf Schockeffekt konstruiert. Gelegenheitsprostituierte, Sexsüchtige, Kriegsversehrte, Sadisten,die Figuren wirken als wären sie einem Bild von Georg Grosz entsprungen. Rebecca Klingenberg als Selow und Christina Jung als Kulb sind die wichtigsten Elemente in diesem Gemälde

Wenn Labude auf Fabian trifft, hält das Karussell an
Alle Fotos: Thomas Müller
Aber der Schnitt durch die Gesellschaft der Übergangszeit fehlt. Politik und Arbeitswelt in der beginnenden Weltwirtschaftskrise werden nur angerissen. Der Weltkrieg als prägende Erfahrung bleibt außen vor, deswegen ist Stephan Labude als Figur auch unvollständig.

Erst jetzt wird das Publikum Zuschauer einer Szenerie, die durchaus als Parallelwelt zur Gegenwart taugt. Akademiker ohne Perspektive, Jobs, die sich nicht lohnen, Mieten, die das Gehalt auffressen und eine Mittelschicht, die zu verschwinden droht.

Seine Rolle als Zuschauer gibt Fabian erst auf, als es persönlich wird und jetzt wird Scheuning auch stark.Hier funktioniert das Dreigestirn Fabian, Stephan und Cornelia.Somit ist die Selbstmord-Szene eben eine der intensivsten in dieser Aufführung. Der lauten Hektik setzt Ruth Messing hier Stille entgegen.

Fabians Leere wird hörbar. Er hat seine Rolle als zuschauender Moralist aufgegeben und bekommt dafür nichts. Scheuning liefert hier die stärkste Leistung an diesem Abend ab. Danach zerfällt sein Welt immer mehr. Der Job ist weg, die Liebe auch. Jetzt wird die Inszenierung anrührend und erlebt ihre stärksten Momente.

Es kann so nicht weitergehen. Der Freitod des Titelhelden erscheint zwangsläufig. Damit bekommt der Abend ein rundes Ende.







Material #1: Deutsche Theater - Der Spielplan
Material #2: Fabian - Das Stück

Material #3: Erich Kästner - Die Biographie
Material #4: Fabian - Der Roman

Material #5: Fabian. Der Vergleich - Kästner am TfN




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