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Einfach einmalig, der Regen in Volpriehausen

Stefan Gwildis und die NDR Bigband in der Göttinger Stadthalle

Stefan Gwildis und 14 andere Jungs waren in der Stadt, sie hatten ihre Instrumente dabei. Das war so was von old school und das war so was von einmalig. Also, damit das klar ist, alles, was mir in diesem Jahr und vielleicht auch im nächsten Jahr vor die Ohren kommt, wird es sehr schwer haben, dagegen anzukommen.
Seit seinem Debüt-Album "Neues Spiel" hat sich der Spätstarter Stefan Gwildis zu Deutschlands Soulman Nummer eins entwickelt.  Also war Skepsis angebracht, als er im letzten Jahr mit der  NDR Bigband ein Album auf den Markt brachte. Klangkörper-gemäß konnte es sich ja nur um Swing handeln, war der böse Verdacht. Doch aus der Kooperation heraus entstand mit "Das mit dem Glücklichsein" ein Tonträger, der vieles zeigt, was im Grenzbereich Jazz und Soul möglich ist, ohne beliebig zu sein. Der Platz eins in den Amazon-Charts war der verdiente Lohn. Aber kann man so etwas autentisch auf eine Bühne bringen? Ja, man kann. Dies bewies das Gespann Gwildis - NDR Bigband am Sonntag in der Göttinger Stadthalle.
Nicht die ganze Bigband durfte am Sonntag
mit nach Göttingen kommen. Foto: NDR
Der Einstieg erfolgt ohne Sänger. die Bigband spielt den "Empty Ballroom Blues" von Duke Ellington und zeigt sie zu den Größen des Genre gehört. Unter der sparsamen Leitung von Jörg Achim Keller entwickeln die Bläser eine Dynamik, einen Druck, dem nur wenig standhalten können. Etwas anders zeigt sich auch bei den Soli von Stefan Meinberg an der Trompete und Fiete Felsch am Altsaxophon. die NDR Bigband ist kein Kollektiv, sondern ein Ensemble exquisiter Einzelkönner. Von Anfang an ist das Publikum hingerissen.
Dann kommt Gwildis auf die Bühne und die Erwartungen sind groß. Mit "Fall nicht auf mich rein" bringt er auch gleich ein Highlight des aktuellen Albums. Doch das Tempo und der Druck der Bigband drohen das fragile Werk von Michel Legrand zu erdrücken. Denn "The Windmills of Your Mind" oder "Les moulins de mon cœur", wie es richtig heißen müsste, ist ein Song, der von den dunklen tiefen der menschlichen Seele erzählt, von der Spinnerei im tristen Leben, von dem ständigen Um-Sich-Selbst-Drehen wenn man die Liebe verloren hat.
Doch der Text fängt es auf. Egal ob er von Michy Reinke, Heinz Ehrhardt stammt oder Stefan Gwildis selbst stammt. Alle Songs aus seinem Repertoire sind kleine Geschichten, in denen sich nicht nur der Sänger wiederfindet, sondern die auch noch Platz lassen für das Publikum, seine Gedanken und sein Kopfkino. Meist sind es Geschichten von "boys meets girl", "boys needs girl", "boy hurts girl", "girl leaves boy", die Geschichten aus den traurigen Schluchten der Staädte halt. Tausendmal erzählt, reanimiert der Magier Gwildis  dieses Genre immer wieder aufs Neue und die NDR Bigband ist mehr als der Assistenzarzt bei dieser Operation. "Fall dich nicht auf mich rein" spinnt die Geschichte weiter und erzählt, was passieren kann, nachdem man die Liebe verloren hat. Er versinkt nicht in Trauer,er gibt aber eine Warnung ab. Aber das entscheidende ist, das man ihm den Gesang abnimmt, das man diese Geschichten für wahr hält, für erlebt hält.
Seine Adaptionen sind keine 1:1 Übersetzungen, sondern Neudeutungen und textliche Variationen bekannter Themen, Phrases eben, das Urprinzip des Jazz halt. Dabei ist die NDR Bigband ein kongenialer Partner. Die Arrangements von Jörg Achim Keller geben dem bekannten Material einen neuen Prägestempel. Es sind trotzige Geschichten, persönliche Erlebnisse und traurige Momente, wenn er vom Freitod seines Schlagzeugers berichtet oder von seiner ersten Scheidung.
Stefan Gwildis erzählt von den dunklen
Seiten der Stadt. Foto: Agentur
Seine Stimme hat Gwildis jetzt noch nicht gefunden. Auch die Scat-Einlagen wirken noch wie Warmsing-Versuch. Ausgerechnet ein Heinz Erhardt-Song bringt die Wende. Richtig gelesen, der Heinz Erhardt des biederen 50er Jahre Klamauks. Aus dem makabren "Der Einsame (Abend)" haben Gwildis, Neumann und Keller einen Blues gemacht, der anfangs mit schweren Schritten durch die regennasse Stadt tapst. Und als niemand mehr damit rechnet, da ist er auf einmal da. Der Urschrei der Pop-Musik, endlos lang und voller Schmerz steigt er in Sekundenbruchteilen bis unter die Decke der Stadthalle. Nun ist der Sänger warm, das Reibeisen ist aufgewacht und das Publikum hingerissen. Alles bis her war Vorgeplänkel, jetzt geht es ab und zwar wie.
Umwerfend ist dann der Wechselgesang von Stefan Gwildis am Mikrofon und Lutz Büchner an der Melodika in "Das Beste, was es gibt". Das verlangt alles und vor allem Liebe zu dem, was man tut. Das ist der Teil der old school, der im Gedächtnis hängen bleibt. Die NDR Bigband und Stefan Gwildis, das ist an diesem Abend ein einzigartiges Erlebnis, das ist ein Flut von Tönen, die in diesen Augenblick geboren werden, das ist Kreativität, das ist Musik aus dem Augenblick heraus. So etwas kann man nicht einstudieren und vielleicht auch nicht wiederholen und eben deswegen einzigartig. Das Publikum weiß, das es Teil eines großartigen Moments ist.
Gwildis tut seinen Teil dazu. Er weiß, dass Heinz Erhardt einst in Göttingen gearbeitet hat und bei "Regen in Hamburg"weiß er zu berichten,dass es auch in Nörten-Hardenberg  und in Volpriehausen jede Menge Niederschlag gibt. Der Mann auf der Bühne weiß, wo er an diesem Abend ist, und er weiß etwas über seine Zuhörer und diese danken es ihm. Gwildis spielt mit dem Auditorium und es fühlt sich von ihm ernst genommen.
Aber was ist er eigentlich? An diesem Abend ist er alles, der Entertainer der alten Schule, der einsame Wolf der Großstadt, das seelische Scareface, das aber immer noch der kleine Junge ist. Wenn Gwildis und die Bigband eine Botschaft haben, dann die "Es mag eine ganze Menge Ärger geben, aber im Grunde genommen ist das Leben doch schön".
Ach ja, richtig gelesen, der Mann am Mikrofon. Stefan Gwildis und die NDR Bigband, die haben kein Headsets und Clipse, die haben noch richtige Mikros. Da kann man sich dran festhalten, da kann man reinbrüllen, auch mit der Posaune und da sind lange Kabel dran, damit kann man tief ins Publikum gehen.
Als vor der Pause dann der Mond über Hamburg aufzieht, da brodelt nicht nur die Elbmetropole, die Stadthalle Göttingen tut es ebenso.  Nicht nur der Sänger kann quietschen, quengeln und im selben Atemzug jammern. Auch die Mitglieder der Bigband können es mindestens genau so gut, zumindestens Dan Gottshall bei seinem Solo mit Posaune und Pömpel in "The Farewell" im zweiten Set. Selten entspringt der Kombination Blech und Kautschuk solch expressive Urgewalt.
Doch es geht auch auf der kunstvollen Schiene. Die Van-Morrison-Adaption Mondglanz verlangt Sänger und Band alles ab und sie bewältigen die Aufgabe fehlerfrei. Zu den bewegenden Gefühlsamkeit kommt auch das anerkennende Staunen. Schade, dass mit mit dem Downtempo von "Wir haben uns mal geliebt" die Austobephase erst einmal vorbei ist. Aber es entpuppt sich nur als die Atempause vor dem furiosen Finale, denn dort wartet die Gwildis-Hymne "Sie ist so süß" und nun schnippt, wippt und tanzen wirklich alle mit.
Dann kommt der Cut. Die Bühne wird dunekl und als letzte Zugabe singt Gwildis seine Adaption von John Hiatts "Have a little faith in me" und die lautet "Lass mich nicht allein heut Nacht". Besser kann man diesen Abend nicht beenden.

Die offizielle Gwildis-Website

Die offizielle NDR Bigband-Website

Besprechung zum Konzert in Herzberg
Das Interview





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