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Die letzte Zugabe

Dieter Hildebrandts Memoiren sind sehr persönliche Erinnerungen

Im November 2013 starb der Titan des deutschen Kabaretts. Nun hat der Blessing-Verlag Hildebrandts Memoiren veröffentlicht.Kann man oder muss man so etwas lesen? Wer wissen will, wie Deutschland so geworden ist, wie es ist, der muss. Denn "Die letzte Zugabe" ist nicht nur ein Blick auf das Leben des wichtigsten Kabarettisten deutscher Zunge, es ist nicht nur ein Zugriff auf die Geschichte der Bundesrepublik aus der Feder des Meisters. Es ist auch der Nachweis, dass Dieter Hildebrandt sich bis zuletzt mit der politischen Gegenwart auseiandergesetzt hat.
Die letzte Zugabe ist das
letzte Werk. Foto: Verlag
Wer nur eine Rückschau auf den Werdegang, ein Blättern durch das Kabarett des Nachkriegsdeutschlands erwartet hatte, wird angenehm überrascht. Selbst noch in der Findungsphase der aktuellen Großen Koalition ließ er in gewohnter Sprechblasen platzen lassen, entblößte die Phrasendrescher, machte die Hintergründe deutlich und und richtiggestellt. Schließlich hatte Hildebrandt die Erinnerungsarbeit schon 2007 in "Nie wieder achtzig!" geleistet. Stattdessen zeigen seine Gedankensplitter,dass die Kraft des Wortes auch in Aphorismus liegen, das wenige Sätze reichen, um die langwierigen Erklärungen der offiziösen Seiten zunichte zu machen.
Aber Hildebrandt berichtet auch von den Menschen, die ihn geprägt, die mit ihm gestritten,gerarbeitet und gelebt. Dies tut er in einem unbekannt zärtlichen Ton, der dieses Buch zu einem eben sehr persönlichen Werk macht und im Leser das Verständnis für den Künstler Hildebrandt vertieft. Es hat wohl zwei Dieter Hildebrandts gegeben. Hier der öffentliche Mensch, der homo politicus, der über Jahrzehnte das Kabarett und die Kritik an systemrelevanten Personen mit analytischer Schärfe und scharfer Zunge vorgetragen hat. Dort der verständnisvolle Freund und Bekräftiger in den schweren Zeiten, im Gewässer der Ja-Sager, ein Zentralgestirn am Himmel der neuen Aufklärer.Es waren eben auch diese Freunde, die das Buch nach dem November 2013 zu Ende gebracht haben. Rolf Cyriax als Lektor,roger Willemsen als letzter Bühnenpartner und der Karikaturist Dieter Hanitzsch. Text und Bild gehören zusammen und Hanitzsch Zeichnungen waren fraglos stilprägend und verleihen der letzten Zugabe den Geschmack eines abgeschlossenen Gesamtwerks.
Aber, wie gesagt, das Buch ist keine Retrospektive. Auf der Grundlage von Erlebten und Erlernten stehlt Hildebrandt bis zum Schluss die Frage der Zeit und die Frage nach der Zukunft.So beleuchtet er  die Rolle der Medien und der Journalisten in einem eigene Kapitel. Selbst der reine Geschichtsunterricht bekommt nicht mehr Platz und dies ist eben das erfrischende.
Wenn Stefan Hanitzsch von der Entstehung der Internetplattform stoersender.tv berichtet und auch einige Episoden in diesem Buch als Textbeitrag wiedergegeben werden, dann verdeutlicht dies, dass Hildebrandt bis zum Ende seines Wirkens auch dem Hier und Jetzt und dem Morgen zugewendet war. Und es macht das Vermächtnis dieses Mannes deutlich, den stoersender.tv entwickelt sich auch nach Hildebrandts Tod und vielleicht sogar deswegen immer mehr zum Netzwerk der Gegen-den-Strom-Schwimmer.
Die Geschichte der Republik im Rücken und den Blick nach vorne gerichtet, dass machte den Kabarettisten aus und diese Einsicht macht dieses Buch so wertvoll, verdeutlicht die Bedeutung von Dieter Hildebrandt noch einmal.


Der Verlag
Die letzte Zugabe
Nie wieder achtzig!
Der Störsender
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