Sonntag, 27. April 2014

Wenn alles schlecht läuft, dann ist Berlin wie Kassel

Weekend im Paradies ist ein Schwank mit ungeahnten Qualit'ten

Franz Arnold und Ernst Bach waren das Autorenduo in deutschen Theater des fr[hen 20. Jahrhunderts und einiger STücke zählen zu den Evergreens. Regisseur Maik Priebe hat sich nun des eher unbekannten "Weekend im Paradies" angenommen. Die Premiere am 25.April im Theater Nordhausen zeigte eine routinierte Inszenierung, die trotz des angegrauten Humors gefällt. Getragen wird sie von der großartigen Leistung des Hauptdarstellers Matthias Winde.

Tja, wie sage ich's meiner Frau?
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Warum bringt man eine Komödie aus dem Berlin der 1920-er Jahre auf die Bühne? Ist die Verfallsdauer nicht überschritten? Nein, ist sie nicht und außerdem macht es manchmal einfach nur Spaß.
Seit zwölf Jahren tut Regierungsrat Dittchen seinen Dienst bescheiden, pünktlich und unauffällig. Bei der Beförderung wurde am wieder übergangen, die Jugend ist an ihm vorbeigezogen. Seine Frau Hedwig wird angesichts des Stillstands sicher enttäuscht sein. Wünscht sie sich doch sehr den Titel "Frau Oberregierungsrat". Also steckt ein wenig "Von dem Fischer un siine Fru" in diesem Schwank, nur dass hier das Happy End garantiert ist.
Ministerialrat Breitenbach klärt seinen Untergebenen auf. Er zeigt zu wenig Ehrgeiz und Initiative, er ist zu pünktlich, zu unauffällig, er zu wenig Aufsehen aus seiner Person und wird wahrgenommen. Deswegen wird es auch nichts mit der Beförderung. Offensichtlich sind die Unterschiede zwischen der Arbeitswelt von 1928 und von 2014 doch nicht so groß wie gedacht. Nun zeigt Dittchen Initiative, er will Genugtuung. Sein Projekt lautet: Trockenlegung des Sündenpfuhls Hotel Zum Paradies am Schnakensee. Also steckt ein "Michael Kohlhaas" in diesem Schwank, nur dass hier das Happy End garantiert ist.
Das muntere Bäumchen-Wechsel-Dich-Spiel in dieser Knall-Tür-auf-Entzücken-Entsetzten-Empörung-Tür-zu-Knall-Schwank darf nicht fehlen und natürlich gibt es immer mehr Fettnäpfchen, die umgangen werden müssen, je länger das Treiben dauert. Igendwann findet sich  das gesamte Ministerium zum Stelldichein im Hotel "Zum Paradies"  ein, inklusive der Abgeordneten Adele Haubenschild, die dem unsittlichen Treiben der Berliner Jugend ein Ende bereiten will und somit die natürliche Verbündete von Dittchen ist. Verena Blankenburg interpretiert die Selbstgerechte als Fels, der nicht wankt und zum Schluss nicht einmal als moralische Siegerin hervorgeht. Ihr Aufeinandertreffen in der Drehtür des Hotels ist schon Slapstick vom Feinsten und durchaus chaplinesk.
Aber die tragende Kraft dieser Inszenierung ist ohne Frage Matthias Winde in der Rolle des Duckmäusers, der irgendwann begreift, wie es läuft, wie man auf die Überholspur wechselt und am Ende als Sieger durch Ziel geht. Mimik, Gestik und Stimme passen zur neuen Rolle. Die Lippen geschürzt steht ihm die schelmische Schadenfreude  ins Gesicht geschrieben, aus den eingezogenen Schulter des ersten Aktes werden durch die breite Brust des Finals ersetzt. Deutlich wird es am Triumph über den neuen Ministerialdirektor Lehmann. Noch in der Vorgeschichte hatte er Dittchen eine Ohrfeige verpasst. Nun muss der verhinderte Lebemann gleich wieder seine Koffer packen und ins biedere Kassel zurückkehren.
Zum Schluss hat Dittchen begriffen, wie es
geht. Foto: 
Es ist aber kein Sieg der Moral. Dittchen triumphiert, weil er mit dem Wissen über das unmoralische Treiben seiner Vorgesetzten Macht über sie hat. Diese weiß er nun gewinnbringend einzusetzen und tut dies mit einer ordentlichen Portion Genugtuung. Winde verkörpert diese Freude, besonders als Oberregierungsrat von Giersdorf ihm ausgeliefert ist. Damit Dittchen der Prototyp des Wutbürgers des 21. Jahrhunderts. Hier laufen Mechanismen, die eben nicht an die 1920-er Jahre gebunden sind, sondern in allen Zeiten gültig sind. Das Hotel "Zum Paradies" zu schließen, davon ist am Ende keine Rede mehr.
Trotz des Alters von 85 Jahren funktioniert das"Weekend im Paradies" immer noch, nur unter anderen Vorzeichen. Nach Jahrzehnten von Boulevardtheater im Abendprogramm und Sitcoms am Nachmittag, wissen die Zuschauer, was noch kommen wird, welche Pointe gleich um die Ecke schauen wird. Das ist aber die besondere Freude, wenn das Publikum einen vermeintlichen Wissensvorsprung vor dem Ensemble hat. Der löst sich immer wieder in Lachen auf. Für die Transzendenz bleibt die Frage: Läuft es in deutschen Ministerien eigentlich immer noch?
Ein besondere Leistung hat Susanne Maier-Stauffen im ersten Akt geschaffen. Dittchen Büro ist ein beengter Arbeitsraum aus dem Koffer. Normiert und eingepackt in ein Flightcase transportabel durch den Raum und die Zeit, könnte dieses Büro überall stehen. Ausstattung und Aussage  stehen so in baulicher Korrespondenz. Schön.


Das Stück
Der Spielplan

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