Direkt zum Hauptbereich

Die Einsamkeit des Radfahrer

Uwe Prieser legt mit "Die Mauer von Geraadsbergen" packenden Sportroman vor

Roger Vermeire ist Radprofi im Herbst seine Karriere. Mit 34 Jahren hat er alle großen Rennen gewonnen, nur dieses eine nicht: Die Flandern-Rundfahrt. Dabei ist es doch sein Heimatrennen und in diesem Jahr muss der Sieg in Flandern endlich her. Was Vermeire und sein Team unternehmen, um den Triumph zu garantieren, ist der rote Faden in "Die Mauer von Geraadsbergen". Dort eben, an dieser berüchtigten Steigung auf der Ronde van Vlaanderen soll die Entscheidung fallen. So lautet zumindest der Plan.  Mit diesem Sportroman hat Uwe Prieser ein Buch vorgelegt, das das altmodische Prädikat "packend" und das Gelbe Trikot in der Literatursaison 2014 durchweg verdient.
Es dreht sich nicht nur um die akribische Vorbereitung des Protagonisten, um seine Einsamkeit und den Verzicht angesichts des großen Ziels. Uwe Prieser zeigt den gesamten Mikrokosmos eines Sportlerlebens und es ist eine Geschichte der Ablösung, des Selbstfindens, des Verlierens und des Wiederfindens. Viele Fäden laufen parallel, laufen ineinander und streben wieder auseinander und doch bleibt der Erzählfluss schlüssig. Alles scheint folgerichtig und nichts aufgesetzt. Steinchen für Steinchen ergibt sich das Mosaik eines Lebens, eines Radfahrerlebens, das man für realistisch halten kann.
Roger Vermeire ist vom Radsport besessen, ordnet sein Lebem dem Erfolg unter und ist beziehungsunfähig. Dem ödipalen Konflikt mit seinen Vater ist er aus dem Weg gegangen und wie Ikarus verbrannt er unter der Sonne und stürzt tief.Die Wege von Roger und Julie kreuzten sich zehn Jahre zuvor. Bei der Tour brachte sie ihm am Mount Ventoux das nötige Glück. Einige Monate waren seine Strecken die ihren. Doch schon im Winter laufen die Routen auseinander. Bei allen Gemeinsamkeiten gibt es doch mehr Trennendes. Auch Julie trägt ihren Rucksack an der unbewältigten Vergangenheit. Ihr Vater verstarb, bevor sie sich aussöhnen konnten. Ihre Mutter verließ die Familie, Julie hat sie seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen. Nun soll Julie an der Mauer von Geraadsbergen auf Roger warten und ihm wiederum Glück bringen.
Wim Verstaapen ist der Rennleiter im Team Stella und der Ersatzuvater für Roger. Auch er will den Erfolg, doch er kennt auch die gesundheitliche Risiken und wird somit zur tragischen Figur.
Luc Lejeune war einst Radfahrer, Musiker und Masseur bei Stella-Rennstalls. Er ist der Mann der ungenutzen Chancen und der ewige Tramp. Wegen Julie verließ er das Team Stella, lebte einige Zeit mit ihr zusammen und verdient nun sein Geld als Straßen- und Kneipenmusiker. Er schwimmt einsam wie ein Goldfisch im Glas durch sein Leben und ist doch aus anderen Gründen beziehungsunfähig.
Die Szenen sind atmosphärisch dicht, die Erzählung der Jetzt-Zeit wechselt sich mit Rückblenden ab, die Geschichte und das Verständnis der Handelnden erst ermöglichen. Präzise geschilderte Szenerien wechseln sich mit reduzierten Schilderungen ab. Es bleibt Raum für die Gedanken der Leser und nichts ist zuviel. Die Geschichte beginnt ruhig wie ein Ausflug am Sonntagnachmittag und gewinnt an Tempo zu je näher die Entscheidung naht.
Aber geht es nur um den Sport oder ist das Rennen nur die Plattform, die Zuspitzung der immer wiederkehrenden menschlichen Konflikte? Beides ist richtig. "Die Mauer von Geraadsbergen" ein Muss für Radsportfreunde, wie es einst "Höllentour" war. Als Fachmann schildert Prieser die vielen Teile, die ein gutes Rennen ausmachen, und er schafft es, die Leidenschaft, die die Qualen des Radrennfahrers erst ermöglichen, zu vermitteln. Prieser überträgt dieses Feuer auf seine Leserschaft. Deshalb lautet die Empfehlung eindeutig: Kaufen und lesen.


Der Verlag
Der Autor
Eine Leseprobe

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Turandot vergibt jede Menge Chancen

 Puccini-Oper wirkt wie Schülertheater Es bleibt dabei. Mit der Oper "Turandot" setzt das Theater Nordhausen den Reigen der belanglosen Aufführungen fort. Dabei bietet doch gerade dieses Werk von Puccini dutzendweise Anknüpfungspunkte zur Jetztzeit. Stattdessen serviert Benjamin Prins eine Ausstattungsoper, der man den Staub von hundert Jahren anmerkt. Puccini gilt als der letzte Vertreter des Verismo, also der italienischen Operntradition, auf der Bühne die gesellschaftliche Realität abzubilden. Aber auch er musste seine "Turandot" in die Vergangenheit und in ein fernes Land verlegen, um Kritik an der Gegenwart zu üben. Immerhin hatten zwei Jahre zuvor die Faschisten die Macht in Italien übernommen. Somit kann man König Timur durchaus als Abbild des entmachteten Viktor Emanuel III. betrachten kann. Nächste Parallele: Wie die Faschisten berufen sich die neuen Opernherrscher auf eine tausendjährige Tradition. Sohn und Vater können vorerst nicht zueinanderfinden.    ...

Viel Abwechslung mit nur einem Instrument

Vier Cellisten beim Kammerkonzert im Kunsthaus Wer Piazzolla spielt, kann kein schlechter Mensch sein. Schon gar nicht, wenn´s gleich zweimal Piazzolla ist. Bis es soweit ist, darf das Publikum einige andere Highlights beim Kammerkonzert der vier Cellisten im Kunsthaus Meyenburg erleben. Das Programm ist zweigeteilt. Vor der Pause gibt es bedächtige Romantik, nach der Pause wird es rhythmusbetont. Kein Grund zur Besorgnis: Das Cello schafft das schon. Das Instrument und das Ensemble bringen dafür ausreichend Potential mit. Erst klassisch, .... Den Auftakt macht Joseph Haydn und sein "Divertimento in D-Dur". Dies hat er einst für eben die Besetzung des Abends geschrieben, für vier Celli. Im zweiten Satz ist das Quartett das erste Mal gefordert. Das Allegro di molto verlangt ein präzises Zusammenspiel, damit der Dialog der Instrument funktioniert und er funktioniert. Im Allegretto des anschließenden Menuetts zeigt Sebastian Hennemann, dass ein Cello tanzen und hüpfen kann...

Eine Inszenierung auf Tratsch-Niveau

 Im DT Göttingen bleibt "Der junge Mann" an der Oberfläche Zu viel Narrativ, zu wenig Analyse. Die Inszenierung von Jette Büshel leidet an Oberflächlichkeit. Die Figuren werden nicht ausgelotet. Deswegen war die Premiere von "Der junge Mann" am 3. November zwar unterhaltsam, ging aber nicht unter die Haut. Das ist schade für das Ein-Personen-Stück auf der Studio-Bühne. In der autofiktionalen Erzählung "Der junge Mann" berichtet Annie Ernaux von ihrer zurückliegenden Beziehung zu einem 30 Jahre jüngeren Mann. Das Buch liegt seit dem Frühjahr in deutscher Übersetzung vor und postwenden haben Jette Büshel und Michael Letmathe ein Stück für das DT Göttingen draus gemacht. Strube bereit zur Berichterstattung. Alle Fotos: Lenja Kempf/DT GÖ Der erste Ansatz verpufft gleich. Seit der Ehe von Brigitte Trogneux und Emmanuel Macron haben Beziehungen zwischen älteren Frauen und jungen Männer so gar nix skandalöses mehr an sich. Auch das Duo Klum-Kaulitz hat null S...