Montag, 25. Mai 2015

Manche würden ihre Seele dafür verkaufen

Ann Hallenberg und "il pomo d'oro" verzaubern mit Agrippina-Studien

Das war Begeisterung pur, auf der Bühne und im Publikum. Mit ihrem Programm Agrippina rissen die Mezzosopranistin Ann Hallenberg und das Ensemble "il pomo d'oro" die Zuhörer am Pfingstsonntag in der Stadthalle Göttingen schon zur Pause zu Jubelstürmen hin. Donna Leon meinte als Mentorin des Abends, dass manche ihre Seele verkaufen würden, um so singen wie die Solistin.
Doch es war eben kein Solo. Da standen Partner auf Augenhöhe auf der Bühne, um mal eine Floskel zu bemühen. Es waren Partner, die sich kongenial ergänzten.
Zuerst zeigt Donna Leon die Verknüp-
fungen zwischen den Agrippinas auf.
Die Figur der Agrippina war zu barocken Zeiten ein beliebtes Motiv. Neben Händel haben sich auch Graun, Porpora, Sammartini, Orlandini und Telemann um die römische Kaisergemahlin gekümmert.  Stoff gibt es reichlich, denn es sind drei Damen unter gleichen Namen, die zur Steigerung der Verwirrung auch miteinander verwandt waren. Die Mutter des Nero, Namensgeberin einer deutschen Großstadt und zweifelhafte Heldin der diesjährigen Festspieloper Agrippina ist nur die letzte in dieser Reihe.
Donna Leon brachte mit ihrer Einleitung Licht in das Dickicht altrömischer Verwandtschafts- und Ehebeziehungen. Die Schrifstellerin brachte es auf den berühmten Punkt. Es war wie Dallas am Ufer des Tibers.
Die drei Damen, die nicht unerheblichen Einfluss auf die Geschichte des Kaiserreichs kategorisierte sie als die gute, die unsichtbare und die böse Agrippina. Eins hatten sie auch noch gemeinsam: Alle drei verkauften ihre Seele an die Macht im römischen Kaisertum.
Ob "good, bad and invisible", dementsprechend fanden alle drei mit sehr eigener Darstellung  Aufnahme in die Musikliteratur. Mal als Furie, mal als kommendes Opfer imperialer Ränkespiele. In drei Personen findet sich das ganze menschliche Universum. All dies findet sich in der Zusammenstellung an diesem Abend.
Aber die Auswahl des Programms aus barocken Arien und Concerti, dies sei einzig das Werk der Musiker gewesen, betont die Wahl-Venezianerin. Das sie die größte Mentorin des Ensembles ist, das gibt es schriftlich.
Den Auftakt machte der Bezug zur diesjährigen Festspieloper Agrippina und bei Händels Werk ließ Ann Hallenberg keinen Zweifel daran, dass sie zu den besten ihres Fachs gehört. Diese Souveränität erlaubt den auch selbstironischen Umgang mit den Kollegen und den Monumenten europäischer Kultur. Gleich zu Anfang wurde viele gescherzt, ironisiert und augengezwinkert. Offensichtlich entspricht dieser frische Umgang auf höchsten Niveau auch dem Verständnis des italienischen Ensembles "il pomo d'oro".
Ann Hallenberg hatte große Freude am
Spiel. Alle Fotos: tok.
Warum sich dieses Orchester innerhalb kürzester Zeit in die oberste Liga gespielt, zeigen die Musiker um Gründer und Dirigent Riccardo Minasi in Vivaldis Conerto in D-Dur. Das ist der heitere Geist des Venzianers, der kraftvoll und fröhlich darherkommt, auf der Basis exzellenter Streicher. Besonders Riccardo Minasi glänzt in den Soli mit einem expressiven aber exakten Spiel, das einem vor Tempo und Präzision der Atem wegbleibt, während das Ensemble die schnellen Tutti-Solo-Wechsel leichtfüßig intoniert.
Ja, und dann kommt jene Arie von Graun, die Donna Leon zum Verschachern der Seele verleiten könnte. Das Staccato in der Koloratur, das ist ganz große Kunst, die Ann Hallenberg später in der Agrippina-Arie aus Telemanns Germanicus noch einmal steigern wird. Jeder Ton sitzt, jede Silbe sitzt.
Diese Dynamik, diese Kraft, das macht die Klasse der Mezzosopranistin aus, das ist einmalig. Dazu passt die Gestik, passt die Mimik. Hier wird nicht vom Blatt gesungen. Ann Hallenberg und il pomo d'oro, die leben Barockmusik. Aus den selben Gründen wird "Tutta furie e tutta sdegno" von Orlandini ein weiterer Höhepunkt an diesem Abend voller Highlights. Diese Dichte und das breite Spektrum und all das auf höchsten Niveau mit dieser großen Portion an Enthusiasmus, das ist einmalig.
Mit Vivaldis Concerto in F-Dur kann "il pomo d'oro" zum wiederholten Male die Extraklasse unter Beweis stellen. Das Wechselspiel noch einmal im Staccato, fehlerfrei. Nicht nur Riccarod Minasi ist ein exzellenter Solist, auch die Hörner unterstreichen jetzt ihre Stellung. Im Largo setzten Marco Frezzati am Cello und Ludovico Minasi am Bass die Kontraste.
Auch die Musiker sind begeistert.
Alles, was dann kommt, ist pure Begeisterung. Mit Standing Ovations und Bravo-Rufen fordert das Publikum gleich drei Mal sein Recht auf  Mehr ein. Das Ensemble scheint dieses Lob gern entgegen zu nehmen. Es gibt die Freude zurück.
Um mit einer Floskel abzuschließen: Wenn Musiker Spaß am eigenen Tun haben, dann merkt man dies im Zusammenspiel und wenn sie Spaß an ihrem Tun haben, dann überträgt sich dies sofort und ungehemmt auf das Publikum. Es bleibt zu hoffen, dass es bald ein Wiedersehen mit Ann Hallenberg und mit "il pomo d'oro" in Göttingen gibt.



Die Händel Festspiele

Donna Leon bei wikipedia

Ann Hallenberg bei wikipedia
Ann Hallenberg bei facebook

il pomo d'oro: Die offizielle Website
il pomo d'oro bei wikipedia
il pomo d'oro bei facebook

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen