“Dem lieben Herrgott auf die Werkbank kacken”
Dirk Schäfer und das “Trio Total” eröffneten die 57. Domfestspiele
Intendant Christian Doll machte am Samstagabend aus seiner Schwärmerei für Dirk Schäfer und seine Musiker keinen Hehl. Aber die 650 Besucher des Eröffnungskonzert der 57. Gandersheimer Domfestspiele taten dies am Ende des Abends. Mit donnernden Applaus und purer Begeisterung wurden die vier Musiker nach dem zweistündigen Auftritt verabschiedet.Unter dem Titel “TangO. Und Edith Piaf” waren Tango und Chansons abgekündigt. Zwei Musikrichtungen, die mancher gern in der Schublade “Abgehakt und besser vergessen” ablegen. Doch Dirk Schäfer und seine Mitstreiter sind seit vielen Jahren mit dieser Kombination erfolgreich unterwegs. Erst im letzten Jahr konnte der Schauspieler aus Kiel mit seinem Jacques-Brel-Programm auf den Stufen der Stiftskirche begeistern.
Große Gefühle und große Instrumente standen auf der Bühne. Alle Fotos: tok |
Die Gandersheimer Bühne war am Samstag dekoriert wie eine Spelunke irgendwo dort draußen in Fantasien. Zwei Tische, ein paar Stühle, einer angelehnt wie zur Sperrstunde. Ein Flasche Schnaps steht herum. Später wird Schäfer diese Flasche Theaterschnaps mit großer Geste leeren. Eine Federboa hängt an der Garderobe, zwei Kronleuchter verbreiten einen Hauch von Ballsaal. Die Bühne ist bereit für eine zweistündige Reise durch die Niederungen des Lebens, entlang der Randbereiche der bürgerlichen Existenz.
Dirk Schäfer singt nicht. Er erzählt Geschichte, aber eben mit Musik. Das Programm hat eine lose Rahmenhandlung. Der Tango “Wer ist wer” steht am Anfang und am Ende. Gleich zum Auftakt stellen Dirk Schäfer und das Trio Total ihre gescheiterten Helden. Da ist Juan, der Gigolo, und Cocoliche, der traurigste Clown der Welt. Später kommen noch Säufer und Nutten dazu. Die Rummelmusik macht deutlich, dass das Publikum einen Blick auf ein verwegenes Panoptikum werfen darf.
Karsten Schnack und das Akkordeon bereiten den
Klangteppich für die Traurigkeit.
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Somit ist es kein Konzert zur Eröffnung der Domfestspiele. Es ist eher eine theatralische Singung. Aber diesen Begriff “Theatralische Singung” gibt es nicht, also ist es eben doch ein Konzert am diesem Samstagabend vor der Stiftskirche, aber ein ganz besonderes.
Dirk Schäfer schafft es, in den 3 Minuten 30 eines Liedes, einen ganzen Kosmos zu entwerfen und komplette Biografien zu vermitteln. Diese Kunst ist selten geworden und vielleicht ist dies ein Grund, für den großen Erfolg und für die Begeisterung, die diese Kunst weckt. Tango und Chanson sind für manchen ein Anachronismus, aber in Zeiten designeter Lebensläufe wirken Schäfers große Gefühle und existentielle Erfahrungen wie ein belebendes Überbleibsel aus der Vergangenheit. Dirk Schäfer erzählt Geschichten ohne Moral in einer moralisierenden Gegenwart. Das macht den größten Reiz dieses Programms aus und dafür bedankt sich das Publikum.
Die Grenzen zwischen den Genres verfließen an dem Abend. Der Tango geht in den Chanson über wird wieder zum Tango. Ein Hauch von Blues weht eigentlich durch das weite Runde und abgeschmeckt wird die Mischung mit einer ordentlichen Portion Gypsy Swing. Zur Mitte des Konzerts kommen Ingo Hirsekorn, Wolfgang Nehrlich und Karsten Schnack auch mal ohne Sänger aus. Dann dürfen sie jammen und swingen, da bricht sich die Lebensfreude Bann und das Publikum wippt mit den Füßen und einigen schnippen sogar mit den Fingern. Das Leben ist eben nicht nur ein Tal der Tränen.
Manchmal kann Wolfgang Nerlich ohneSonnenbrille Basser spielen.
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Doch das Programm ist nicht das Abspulen allseits bekannten Materials. Schäfer hat die Lieder übersetzt und zum Teil umgetextet. Er gibt ihnen mehr als eine neue Nuance. Dabei scheut sich Schäfer auch nicht vor klaren Formulierungen und deftigen Wort. Da darf der Heimwerker dem lieben Herrgott ruhig auch mal auf die Werkbank kacken.
Dirk Schäfer und sein Ensemble spielen eben mit den Erwartungen ihrer Zuhörer und brechen sie auch. Man muss schon zweimal hinhören, um die Originale zu erkennen und beim Piaf-Klassiker “Milord”dauert es auch eine ganze Reihe von Takten, bis das Publikum den Ohrwurm erkennt. Das Tempo ist gebrochen und verschleppt und fügt damit der bekannten Vorlage eine neue Sichtweise hinzu. Die Kunstpause als Mittel der Dramatik beherrscht Dirk Schäfer wohl wie kein zweiter seines Faches aus Schauspiel und Gesang.
Der neue “Milord” wird mit Getrampel, Gejohle und standing Ovations quittiert. Sollte es bis dahin Vorbehalte gegeben haben, so hat sie der donnernde Applaus vertrieben. Der zweite Teil des Abend ist bald schon ein musikalischer Triumphzug. Erst nach drei Zugaben dürfen Dirk Schäfer und das Trio Total die Arena verlassen. Es bleibt zu hoffen, dass sie bald wiederkehren, mit welchem Programm auch immer.
Das Trio Total
Dirk Schäfer Homepage
Das Interview zum Konzert
Die Website der Gandersheimer Domfestspiele
Das Konzert 2014
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