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Er hat es wieder getan

Gunter Heun überzeugt als Judas Ischariot

Prolog:

Für mich war "Judas Ischariot" das stärkste Stück bei den 57. Domfestspielen. Deshalb hat freute mich die Woiederaufnahme besonders. Eigentlich besuchte ich keine Vorstellung zweimal, aber dieses Mal habe ich großzügig eine Ausnahme gemacht. Mich trieb die Frage: "Was würde ich jetzt mehr sehen? Was würde ich anders sehen?" Um die Antworten  vorweg zu nehmen: Eine ganze Menge. Auf jeden Fall hat es sich gelohnt.

Ende Prolog.

In der Inszenierung von Christian Doll stimmt alles. Text, Darsteller und Spielort faszinieren als Gesamtpaket und das  Stück sorgt dafür, dass Gewissheiten und Klischees, die die Christenheit seit 2.000 Jahre mit sich herumschleppt, innerhalb von 60 Minuten umgekehrt werden. Wie weit geht die Christenheit mit ihre Barmherzigkeit? Kann sie dem verzeihen, deren Messias ans Messer geliefert hat?

Im Klostergarte Brunshausen ist der Sommer angekommen. Es laues Abendlüftchen weht, Vögel zwitschern und die Rosen duften. Doch dann geht es in die Tiefe, zwölf Stufen in den dunklen Keller, dann rechtsherum und gleich wieder linksherum. Dort ist Licht und ein minimales Bühnenbild. Der Gewölbekeller im ehemalige Kloster ist kein Spielort für Klaustrophobiker, aber er ist der geeignete Spielort für “Judas Ischariot” von Lot Vekemans.

Stimmt die Kasse? Hat jeder
bezahlt?
Alle Fotos: Hillebrecht
Die niederländische Autorin hat sich mit dem größten Unsymphaten der Christenheit beschäftigt, mit dem Mann, der den Messias verraten hat. Christian Doll hat daraus ein Stück gemacht, dass an Intensität kaum zu überbieten ist. Mit Gunter Heun hat er einen Darsteller gefunden, der dieser Intensität Stimme und Körper verleiht.

Judas ist wieder da. Wie, das bleibt unklar und ist auch zweitrangig. Auf jeden Fall sucht er das Publikum, um sich zu erklären. So ist die Ausgangslage in diesem Monolog für einen Schauspieler.

Die beengten Verhältnisse im Kellerraum lassen kein Ausweichen zu. Das Publikum ist dem Darsteller ausgeliefert und der Darsteller dem Publikum. Doch dafür ist Gunter Heun genau der richtige Mann. Er versteht das Spiel mit den Zuschauern und den Zuhörern. Er spricht einzelne direkt an und mit Laufe des Abends hat er jedem Anwesenden mindestens einmal in Gesicht geschaut. Der anfängliche Monolog wird zum Dialog

Dies macht “Judas Ischariot” zu einem sehr persönlichen Stück. Rolle und Darsteller verschmelzen. Auch das Publikum wird zu einem Teil der Inszenierung und das ist die hohe Kunst auf einer Studiobühne. Aber es gibt keine Bühne im eigentliche Sinne. Die Stühle sind an den Längsseiten des Gewölbekellers aufgereiht, dazwischen agiert Heun. Mal bewegt er sich wie ein Model auf dem Cat-Walk, mal wie ein Tiger im Käfig. Auf jeden Fall ist er energiegeladen.

Diese Energie steigert sich im Laufe der einstündigen Aufführung. Judas erzählt Judas von sich, von seinen Eltern und Geschwistern und vom ersten Treffen mit Jesus. Anfangs kühl und überlegt steigert sich die Lautstärke merklich. Doch manchmal ist es wichtig, was er nicht ausspricht, was er verschweigt. Dann bricht der Redefluss ab und Heun zeigt sich als Meister der Kunstpause. Warum sollte man etwas erklären, wenn keine Chance auf Einsicht beim Publikum besteht?

Judas Ischariot fühlt sich missverstanden und das muss nach 2.000 Jahren geklärt werden. Nein, er sieht sich nicht als Opfer. Judas hat auch ein These: Er hat gehandelt und mit seinem Selbstmord Verantwortung übernommen, während die Scheinheiligen immer auf die Anderen verweisen. Warum hat niemand den Messias gerettet? Damit stellt Lot Vekemans endlich mal die Frage nach der Mitschuld. Heun schreit sie heraus und das Publikum schweigt betreten.

Manchmal ist der starke Mann ganz verzweifelt.
Foto: Hillebrecht
Ein Anliegen hat er auch. Ischariot möchte seinen Namen zurück. Seit 2.000 Jahren gilt “Judas” doch als unaussprechlich. Doch der Namenstausch mit den Anwesenden klaptt nicht keine übernimmt diese Makel freiwillig

Explosionsartig entweicht die ganze Energie. Judas schreit und zetert und bleibt doch als ein Häufchen Elend zurück. In der Verzweiflung fließen Tränen. Gunter Heun bewältigt diesen Zusammenbruch glaubhaft. Seine Stimme wechselt zwischen Lautsprecher und Flüsterer und die einst dominante Gestik verkümmert schlagartig.

Im Gegensatz zum letzten Jahr verzichtet Doll bei der Wiederaufnahme auf die provokante Pose des Gekreuzigten. Das nimmt zwar die Schärfe aus der Inszenierung, macht die Aufführung aber persönlicher. Am Ende bekennt wenigstens Judas zu sich selbst, indem er seinen Namen in großen Lettern auf den Boden schreibt.

Judas Ischariot” bei den Gandersheimer Domfestspielen ist ein seltener Glücksfall. Das Gesamtpaket stimmt: Hier treffen ein starker Text auf einen Regisseur und einen Dramaturg, die die Herausforderung einer intimen Studiobühne beherrschen. Dazu kommt ein Darsteller, der alle Tiefe einer menschlichen Existenz ausloten kann und ein Aufführungsort, der alle Aussage unterstützt.


Die Kritik zur Aufführung 2015

Spielplan der 58. Domfestspiele
Das Stück

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