Bigband dekonstruiert sich zu Tode
Der Brückenschlag zwischen Barock und Jazz gelingt nur zum Teil
Grenzen überschreiten und Gemeinsames aufzeigen, dass war der Anspruch der NDR Bigband bei ihrem Konzert in der PS.Halle in Einbeck. Doch weil das Ausgangsmaterial arg deformiert wurde, waren die Konturen nicht mehr erkennbar.Mit Geir Lysne als neuen Chefdirigent hat beim Ensemble vor zwei Jahren eine Zeitenwende eingesetzt. Nichts ist geblieben von der raffinierten Leichtigkeit und Spielfreude seines Vorgängers Achim Keller. Nun wird Jazz in seiner verkopften Variante geboten. Damit war das Konzert zum Teil eine Reise zurück in die 70-er Jahre.
Das Jazz und Barock seelenverwandt ist seit 40 Jahren eine Gewissheit. Beide Genres werden von der gemeinsamen Entwicklung eines oder mehrer Themen durch die Musiker bestimmt. Dann biegt einer ab, improvisiert auf dem Teppich, den das tutti legt und dann trifft man sich zu vereinbarten zeit am vereinbarten Ort. Dann arbeitet man am Thema weiter und variiert fleißig.
Christoph Lauer hupt schon zu Anfang ganz fett.
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Fünfmal Telemann steht vor der Pause auf dem Programm. Christof Lauer beginnt das Concerto in E-Dur mit seinem Saxophon-Solo. Er reiht einzelne Töne an und weckt einen Hauch von Ornette Coleman. Dann setzt das Ensemble ein und man findet einen gemeinsamen Rhythmus, doch das Klangbild erinnert nicht an barocke Opulenz sondern an die reduzierten Strukturen eines "Sketches of Spain".
Auf der Basis der Bigband setzt Klaus Heidenreich zum Posaunen-solo an. Schnell reiht er die Töne aneinander, doch es dauert einen Augenblick, bis man das Thema gefunden hat. Nun geht es in Fahrtrichtung Konventionell. Das Dirigat von Geir Lysne ist angenehm zurückhaltend.
Dann erklärt er, dass es mit diesem Programm vor allem um seine Sicht der Dinge geht und nicht so sehr, was Telemann der Nachwelt mitzuteilen hat. Das wird im Laufe des Konzertes immer deutlicher. Seine Arbeitsweise erläutert er in wenigen Worten. Er übergibt das Material dem Computer, ändert das Tempo, ändert die Rhythmik und fügt dann einiges hinzu. Deswegen ist es schwer, die barocken Vorlagen auszumachen. Die Dekonstruktion hat jeden gemeinsamen Asatz in Grund und Boden gestampft.
Vladyslav Sendecki leitet Telemanns Spanisches Allegro mit einem Klavier-Solo ein, dass noch den Geist des Barock ahnen lässt. Dann fängt sein Spiel ann zu swingen, bevor eine Salve der Bläser das Solo beenden. Die Rhythmus-Section tritt in den Vordergrund und die Percussion setzt das Versprechen vom spanischen Flair um.
Die Legende von Paul und Paula gilt auch im PS.Speicher |
Eine Fantasia ist eine musikalische Erscheinungsform, die keinen Regeln unterliegt. Auch Telemann schrieb einst eine. In der Lysne-Version darf sich an diesem Abend fast jeder mal probieren. Nicht weniger als acht Soli dehnen die Vorlage wie eine Gummiband. Orientalische Anmaßungen stehen neben der Auflösung jeglicher Struktur und mancher Beitrag erweckt den Eintrag, als wollte der Vortragende hier den Jazz neu erfinden.
Dieses spiel setzt in der Wassermusik fort und wiederum ist es Sandra Hempel, deren Spiel im anschwellende Volumen der Rhythmus-Sektion unterzugehen droht. Egal ob Jazz oder Barock, von Lebensfreude ist jedenfalls nichts zu spüren.
"Man muss sich nur einreden,dass es schön war, was man erlebt hat" ist der zentrale Satz aus der "Legend von Paul und Paula". Das scheinen auch große Teile des Publikums zu beherzigen. Deswegen gibt es durchaus und auch reichlich Applaus. Götz Alsmanns Verdikt über den Jazz-Nihilismus ist hier nicht zitierfähig.
Material #1: Die Musiktage - Die Website
Material #2: Die NDR Bigband - Die Website
Material #3: Die Band - Eintrag bei wikipedia
Material #4: Die Bigband vor Ort - 2014 in Göttingen -
Material #5: Noch mal vor Ort - 2014 in Herzberg
Material #6: Der Jazz-Nihilismus -Götz Alsmann im Interview
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