Freitag, 20. Dezember 2019

Das geht unter die Haus

Antje Thoms inszeniert Woyzeck am DT Göttingen

Leicht schräg, endlos traurig und mit einer völlig neuen Perspektive. Der "Woyzeck" am Deutschen Theater Göttingen geht unter die Haut. Dabei ist die Inszenierung von Antje Thoms nicht nur beeindruckend, sondern nötiger denn je.

Die Vorlage von Georg Büchner ist ein Stück, dass schon sehr die Frage nach Macht und Abhängigkeit gestellt hat. Mit dieser Aufführung macht Antje Thoms deutlich, dass dieses immer wieder getan werden muss. Das ist in Zeiten, in denen Friede, Freude, Eierkuchen zur Maxime geworden sind und in denen Antagonismen hinter dem Scheinwerferlicht verschwinden, um so wichtiger.

Thoms hat sich nicht des Dramas sonder des gleichnamigen Musicals bedient. Dazu hat sie den militärischen Hintergrund entfernt und in die banale Welt des Rockbiz verlegt. Bei aller Kumpelhaftigkeit ist auch dieses von steilen Machtgefügen geprägt.

Schon bevor die Show beginnt, hat Woyzeck verloren.
Alle Fotos: Thomas Jauks
Als Gafferboy steht Göttingens Woyzeck ganz unten in der Hierarchie.  Marco Matthes in der Rolle des Hauptmanns weckt Assoziationen zu jenem legendären Colonel Tom Parker und Andreas Jeßing wirkt als Doktor wie das Alter Ego von Iggy Pop. Das ändert alles nichts an der Grausamkeit der beiden und so ist es nur konsequent, dass beide als Kumpel agieren.

Die Vorstellung beginnt mit einer Andrea Straube als Margreth, die im Stile eines Vamp in knallenges Lackleder gezwängt wurde. Von der Randfigur wandelt sie zur Überfigur und übernimmt die Rolle einer Conferencier. Ihr überliegt die Rolle der musikalischen Kommentatorin.

Überhaupt gibt es eine deutliche Verschiebungen. Kristallisationspunkt dieser Inszenierung ist immer wieder die Band, alles dreht sich um die Bloody Blades. Diese intoniert dann "Misery is the River of life", so etwas wie die Hymne dieses Musicals.

Die Musik von Tom Waits und Kathleen Brennan ist schleppend  und fügt sich kongenial in die düstere Grundstimmung ein. Blecherne Trompeten und ein scheppernde Schlagzeug bestimmen den Sound. Es ist eine Mischung aus Jazz, Blues und Soul und nur einmal verbreitet eine Prise Karibik in "Let's pretend" eine Aufbruchstimmung. "Coney Island Girl" hingegen ist geprägt von bittere Erinnerung.

Woyzeck kriecht zwischen den Musikern hin und her, richtet Mikro-Ständer und klebt Kabel ab. Er ist ganz unten. Im Final wird dieses Gaffer, dieses Klebeband, zu seiner Waffe gegen Marie. Wo sie als Background-Sängerin in der Hierarchie steht, bleibt unklar.

Volker Muthmann hat sich am DT als der Fachmann für die paranoiden Rollen etabliert. Sein Woyzeck schwankt zwischen Resignation und Wahn. Den Kopf stets gesenkt, die Schulter im Hänge-Modus und die Stimme stets im Moll. Nur selten kommt er selten kommt er aus diesem Zustand heraus. Seine Schicksalsergebenheit erreicht hier Dimensionen, die fast schon schmerzen. Muthmann brilliert hier mit Eindringlichkeit.

Stille Momente des Glücks: Woyzeck und Kind.
Foto: thomas Jauks
Wie ein dressiertes Tier lässt er sich vom Doktor befehligen und stopft Erbsen in sich hinein. Bei sol viel veganer Ernährung muss er ja wahnsinnig werden. Selbst Margreth darf ihn vorführen.

Die Bühne dreht sich und zeigt ein Zimmer mit viel Hartz-IV-Charme. Ein schäbiges Sofa, ein Wäscheständer und ein Tiefkühltruhe neben dem Waschbecken. Das hat nichts Glimmer und Glanz zu tun. Hier treffen Marie und Woyzeck aufeinander und ihre Hilflosigkeit und Entfremdung ist ihnen sofort anzumerken. Ihre Träume sind zerplatzt und nur noch selten glimmt in dieser Vorstellung das Feuer der erloschenen Lieben. Sie haben sich nicht mehr zu sagen, auch deswegen, weil Woyzeck nicht artikulieren kann, was ihn umtreibt.

Die Aussage ist eindeutig: Armut verarmt auch seelisch und Abhängigkeiten zerstören Beziehungen. Angst essen Seelen auf, nannte das Fassbinder das mal. Damit stellt sich die Regisseurin Antje Thoms gegen die vorherrschende Harmoniesucht.

Dann tritt das Kind auf. Es ist gekleidet wie sein Vater. Cargo-Hose, Achsel-Shirt und Arbeitsschuhe. Zwei Dinge liegen hier drin. Das Kind ist dem Vater verbunden und ihn droht das gleiche Schicksal wie Woyzeck. Überhaupt zeichnen sich die Kostüme von Mascha Schubert durch Eindeutigkeit aus, die die Inszenierung unterstützt.

Überhaupt ist es eine Aufführung voller Einfälle und Details, die es schwer haben, in der Flut der Reize zur Geltung zu kommen. Doch die Videoprojektionen bleiben unübersehbar. Sie sind kein Beiwerk, sondern sich in das Gesamtkonzept ein.

Antje Thoms hat die Gewicht ein weiteres Mal verschoben. Das Kind bleibt zwar namenlos, wird aber zum Gegenpol der lieblosen Welt. Es pflegt eine innige Beziehung zum Vater, aber um ihn auf den Weg in den Abgrund zu retten, dazu ist es zu schwach. Es bleibt halt ein Kind.

Woyzeck lehnt sich auf und unterliegt doch.
Immer wieder versucht das Kind die Erinnerung an harmonische Zeiten zu beleben. Es trägt dem Vater die Geige hinterher und der spielt. Dann ist es ganz still auf der Bühne und im Auditorium. Das sind die eindringlichsten Momente in dieser Freak-Show. Sie drücken den Kloß im Hals nach oben und machen die Augen feucht. Kein Vater mehr, keine Mutter mehr. Am Ende ist das Kind der wahre Verlierer. Armut zerstört Zukunft.

Aber Woyzeck kann nicht gewinnen. Er spielt Volkslieder und die anderen Rock'n'Roll. Deswegen nimmt die Inszenierung nach jeder stillen Szene noch einmal deutlich an Fahrt auf. Dann dreht sich die 'Bühne wie und jedes Mal quietscht sie wie ein altes Karussell. Die Show muss weiter gehen.

Mit dieser Inszenierung ist Antje Thoms ein großer Wurf gelungen. Sie zeigt nicht nur  aus eindringliche Weise Einzelschicksale sondern sich macht deutlich, dass man die Frage nach den Abhängigkeiten immer wieder stellen muss.





Material #1: Deutsches Theater - Der Spielplan
Material #2: Woyzeck - Die Inszenierung

Material #3: Woyzeck - Die Historie








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