Kein großer Schritt nach vorne
Antje Thoms verabschiedet sich mit ungewöhnlicher Inszenierung
Die Inszenierung ist gut, das Stück hat
Schwächen. So lässt sich die letzte Aufführung am Deutschen Theater unter der
Regie von Antje Thoms zusammenfassen. Mit „Der Weg zurück“ verabschiedete sie
sich nun nach Regensburg.
Am Anfang steht die Überforderung. Daraus wächst der Wunsch
nach einem einfachen Leben. Weil es immer mehr Menschen mit diesem Wunsch gibt,
ist in den USA die Bewegung der Regression, der langsamen Rückwärtsbewegung,
entstanden. Der britische Autor Dennis Kelly hat diese Erscheinung in seinem
Stück „The Regression“ verarbeitet.
Das Werk führt durch fünf Generationen. Am Ende der
Technikfeindlichkeit steht eine steinzeitliche Gesellschaft. Ausgangspunkt sind
„Der Mann“, seine Tochter „Dawn“ und ihr schweres Schicksal. Endpunkt ist eine
weitere „Dawn“, die so retardiert ist, dass sie nur noch einsilbige Wörter
beherrscht. Was mit Skepsis der modernen Technik gegenüber beginnt, endet mit
dem völligen Verfall von Wissen.
Aufführungsort ist die Tiefgararge des DT Göttingen. Diesen
Ort gibt das Stück quasi vor. Die Stühle sind zweireihig im Rund aufgebaut. Es
wirkt wie die nächste Sitzung der Gruppentherapie. In der Mitte brennt ein
Lagerfeuer. Es soll wohl das Feuer sein, um das man sich seit Menschengedenken
so gern versammelt und dann Geschichten erzählt.
Am Eingang hat jeder einen Kopfhörer bekommen. Der beschallt
das Publikum mit einer Geräuschkulisse und dem Satz „Du bist in Sicherheit“ in
der Endlosschleife. Es ist schon klar, dass es sehr intensiv wird.
Der Blick in die Zukunft die Vergangenheit ist. Alle Fotos: Thomas M. Jauk |
Dann steigt Gabriel von Berlepsch als „Der Mann“ in den
Ring. Auf den Armen eine Puppe, die er ständig wiegt und das Mantra „Du bist in
Sicherheit“ in die Ohren flüstert. Zerfahren erzählt er von dem schweren Schicksal,
von der Empfängnis unter schwierigen Umständen, der Geburt und dem plötzlichen
Tod der Mutter.
Von Berlepsch liefert großen Kunst. Fahrige Bewegungen, den
Kopf stets gebeugt und abgehackte Sprache. Da ist ein Mann jenseits der
Verzweiflung und von Berlepsch kann dies eindrucksvoll vermitteln. Er steckt in
einer unheilvollen Schleife, aber diese zieht die erste Szene unnötig in die
Länge.
Die Frau konnte nur mit Hilfe der Technik schwanger werden, mit Hilfe der In-vitro-Fertilisation. Für den Katholik Dennis Kelly scheint dies ein neuer Sündenfall zu sein. Von hier an geht es auf der Schrägen rasant bergab. Fortan müssen alle Frauen ihre Schwangerschaft mit dem Leben bezahlen. So viel wurde seit der Romantik nicht mehr im Kindsbett gestorben.
Oder möchte
Kelly dem Publikum mitteilen, dass allein fehlende Mutterliebe der Grund für
alles Unheil ist? Schließlich müssen fortan alle Akteure ohne liebende Mutter groß werden.
Die Anfänge der Technikkritik liegen in der Romantik und da
ist es logisch, dass Kelly auf ein weiteres Mittel dieser Epoche zurückgreift,
nämlich dem Briefroman. Die nächste Etappe trägt „Die Gruppe“ als Lesung aus
Briefen vor. Das Publikum darf sich seinen Teil denken. Was aber angesichts der
wirren Gedanken nicht immer einfach ist. Der ruhige Vortrag kontrastiert gut
zum dramatischen Geschehen. Auf jeden Fall wird am Ende dieser Etappe
heldenhaft gestorben.
Gegenwart und Steinzeit vermischen sich. Foto: Thomas M. Jauk |
Zudem schaffen die beiden Darsteller es immer wieder, in ihrem gehetzten Vortrag die Spannungen zwischen den beiden ungleichen Geschwistern deutlich zu machen. Egomane trifft auf Verständnisvolle und beide packen jede Menge latente Aggression in ihr oberflächlich freundliches Neusprech. Es verwundert nicht, dass dies tödlich endet.
Nach der nächsten Briefroman-Etappe springt die letzte Dawn
in den Ring. Es ist eine Szene voller Entsetzen, denn Alma Nossek spielt
eindrucksvoll eine Vierzehnjährige auf dem geistigen Niveau einer Dreijährigen.
Bemalt wie ein mystisches Wesen aus der Vergangenheit zeigt sie eine mögliche
Zukunft. Es ist erstaunlich wie viel Mienenspiel diese Maske noch zulässt. Zu
den großen Kulleraugen gesellt sich die raumgreifende Gestik eines überdrehten
Kindes. Das Publikum ist hin- und hergerissen zwischen Mitleid und Entsetzen.
Bei allen Längen und Schwächen des Stücks gelingt Antje Thoms
mit ihrer letzten Arbeit am Deutschen Theater ein eindrucksvoller Blick in eine
mögliche Zukunft. Dabei kann sie auf ein Ensemble bauen, dass mit seinem
abwechslungsreichen Spiel alle Facetten der unheilvollen Entwicklung offenlegt.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen