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Zu viel gewollt - nichts gewonnen

Uraufführung mit gemischten Ergebnis im Deutschen Theater Göttingen

Beim "Traum von der glänzenden Zukunft" muss man genau unterscheiden. Schauspieler top, Inszenierung in Ordnung, aber Stück mit deutlichen Schwächen. Die Vorlage von Carina Sophie Eberleist ein Werk, das alles will, aber nichts gewinnt. Nach 60 Minuten Küchenpsychologie bleibt die Frage: Wer therapiert hier eigentlich wem?

Man muss die Klassiker bemühen. In seiner Ästhetik unterscheidet Kant zwischen nützlich, gut und schön. Nützlich ist, was einem anerkannten Zweck dient. Das gilt für "Der Traum von der glänzenden Zukunft" bestimmt. Mögliche Bedrohungslagen schildert das Stück in Gänze und voller Breite. 

Gut ist nach Kant, was einem moralischen Grundsatz befolgt. Ob der oben geschilderte Zweck moralisch ist, das bedarf einer längeren Debatte. Was die überforderte Vorlage rettet ist die Inszenierung von Lucia Reichard, das Bühnenbild von Bettina Weller und vor allem die schauspielerische Leistungen.

Mädchen, Zukunft und Angst. 
Alle Fotos: DT/Thomas Müller
Gabriel von Berlepsch könnte man ein Telefonbuch vorlegen und er würde es in bemerkenswerter Weise umsetzen. Bei dieser Aufführung schafft er es, nahtlos zwischen den Rollen als Vater Gustav, Lehrer Kühn und die Angst hin- und her. und umzuschalten. Er hat für jede der unterschiedlichen Anforderungen die richtige Antwort in Gestik, Mimik und Rhetorik.

Er verkörpert den überforderten Gatten und Vater ebenso glaubhaft wie den gutmeinenden Pädagogen. Mit dem Staccato-Sprech zum Abendessen verdeutlichen er und Andre Strube eindrucksvoll die prekäre Situation der Familie Namenlos.

Aber zu großen Form läuft er in der Rolle der Angst auf. Meist entspannt und souverän, schafft er es sogar die Angst der Angst vor der Angst umzusetzen. 

Ähnliches gelingt Andrea Strube in der Dreifache Rolle als Mutter, als Freundin Iris und als die Zukunft. Besonders das Umschalten zwischen der desillusionierten Mutter hin zur optimistischen Iris funktioniert wunderbar. Ob es Absicht ist, dass Strube mit der Maske aus dem Kopf nur stückchenhaft zu verstehen ist, gehört zu den Geheimnissen der Inszenierung. 

Diese Vielfalt bleibt Marina Lara Poltmann verwehrt. Sie kann ihr Potenzial nur teilweise ausspielen, weil die Figur der Nemuärt immer man Rande des Nervenzusammenbruchs angelegt ist. Ais auf wenige Ausnahmen ist sie stimmlich am Anschlag, erst zum Schluss sind ihr die ruhigen und vertiefenden Momente vergönnt. Ist es schon ein wenig überraschend, dass sie sich am Ende der Vorstellung ihre Angst überwindet. 

Zu den Höhepunkten der Aufführung gehört ohne Frage der Wettlauf der Angst mit der Protagonistin, in dem sich beide ständig überholen. So viel Heiterkeit mit Tiefsinn wünscht man sich häufiger.    

Die Aufführung beginnt mit einer Ausnahmesituation. Die Familie Namenlos ist gerade umgezogen, überall versperren Kartons den Blick und verwehren den Überblick. Ständig werden alltägliche Utensilien gesucht, die Normalität bleibt verwehrt. Die Ausgangssituation ist klar: Vier Menschen in einer 3-Zimmer-Wohnung. Das spricht für eine soziale Schieflage und dank der Intimität der Studiobühne im dt.2 kann sich das Publikum der latenten Spannung nicht entziehen.

Diesem starken Auftakt folgt eine Irrfahrt durch sämtliche Klischees der Digitalmodernen. Die Zusammenstellung erscheint willkürlich und weckt den Schein des Alles-muss-aufs-Tapet-Schülertheaters. 

Keine echten Typen

Da ist die lebensfrohe Schulfreundin Iris aus gesicherten Verhältnissen, die es immer schafft sich ihren Helikopter-Eltern zu entziehen. Selbst erfolgt nach Schema F. Dem Stück mangelt es einfach an echten Typen oder auch Typinnen. Zu vieles ist vorhersehbar.

Dann folgt die vulgärmarxistische Kritik am Kapitalismus, am ständigen Zwang zum Wachstum mit den Stilmittel des Agit-Prop-Theaters der 1920er Jahre, die Unmenschlichkeit des Fleischverzehrs und der Kreislauf des Mikroplastiks. Die langen Passagen über das menschliche Gehirn dient dem Zweck, diese Bowle der aktuellen Befindlichkeiten mit den Insignien der neuen Gottheit Wissenschaftlichkeit zu würzen.

Stücke, die den Anspruch erheben, Realität abzubilden, laufen meist in eine selbst gestellte Falle. Man überprüft sie anhand der Realität. Da fällt dieses Stück durch. Wer in Zeiten der Selbstausbeutung im Plattformkapitalismus immer noch das Wirtschaftsmodell des Manchester-Liberalismus muss sich die Frage stellen, in welchem Jahrhundert er oder sie lebt, oder ob dieser historische Rückgriff nötig ist, um das eigene Konstrukt besser dastehen zu lassen.

Angst ist nur eins von vielen Gefühlen und ein Prozess der Adoleszenz. Kinder müssen erst lernen, Angst zu haben. Dafür müssen sie aber nicht ins Theater. Liebe, Hoffnung und Faulheit sind weitaus stärkere Motoren, gerade im christlichen Kontext. Also muss man die Frage stellen, ob im diesem Werk jemand die eigenen Beklemmungen auf Heranwachsende projiziert, weil diese sich nicht wehren können.

So gesehen kommt es überraschend, wenn die Protagonistin am Ende ihre Angst überwindet. Es sorgt immerhin für ein versöhnliches Ende
       

Bei allen Verbesserungen durch das Ensemble des DT Göttingens bleibt dennoch die Frage, ob dieses Erstlingswerk nicht besser in der Schublade geblieben wäre. Es ist zu hoffen, dass Carina Sophie Eberle demnächst ein stärkeres Werk vorlegen kann.  






  

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