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Lieber Tango hören als nach Hause gehen

Bolero Berlin verwandeln dern Kreuzgang in eine Bodega

Wenn das Konzertpublikum im Kreuzgang mit den Füßen wippt und mit den Fingern schnippt, dann ist die Ordnung gest;rt, dann gibt es einen Riss im Raum-Zeit-Kontinuum, dann muss es außergewöhnliches passiert. Am Freitag war es so weit. Bolero Berlin spielt im Kreuzgang und das Publikum wippte mit den Füßen un schnippte mit den Finger. Das Sextett aus Berlin verwandelte das altehrwürdige Gemäuer in eine Bar, eine Cantina und in einen Club.

Nein, das haben sie nicht mit einem Zaubertrank geschafft sondern mit einem zauberhaften Musikmix. Aber mit welchen Musikmix haben sie das getan? Die Frage kann man mit einem Exkurs in die Kategorie "Expertenwissen, das nur dazu dient Laien zu verwirren"  beantworten.


Martin Stegner ist das Sprachrohr von
Bolero Berlin. Alle Fotos: tok 
Der musikgeschichtliche Verdienst von Simon Both und Larry Stabbins besteht sicherlich darin, dass sie einst zusammen mit der Sängerin Juliet Roberts die Formation "Working Week" gründeten und dass sie den sterilen und akademischen Jazz der damaligen Zeit mit einer Frischzellenkur aus lateinamerikanischen Rhythmen wieder auf die Beine brachten. Sie retten ein totgerittenes Genre und waren die Wegbereiter eines neuen Jazz-Feuers. Der Faden, die mit Auflösung von Working Week verloren ging, den nimmt Bolero Berlin wieder auf und spinnt ihn weiter.

Es rumbat, es sambat, es mambot und ein wenig Bossa Nova gibt es auch noch. Dazu kommen Tango und Bolero und jede Menge Chorinho und im Grunde genommen ist es Jazz. Wenn man so viele Stile mischt, dann läuft man durchaus Gefahr, einen Mischmasch ohne Konturen zu schaffen. Doch der Mannschaft um Martin Stegner und Helmut Nieberle gelingt es wimmer wieder, aus all diesen Zutaten das Beste zu destillieren und das ist Leidenschaft und Rhythmus.

Aber es ist Jazz, denn hier erarbeiten sich exzellente Charaktere ein Thema, wandeln es, improvisieren in ihren Soli darüber und zum Schluss finden sie dann doch wieder zusammen.   Man braucht den Exkurs aber auch gar nicht. Dass Bolero Berlin einen eigenständigen Stil gefunden hat, der begeistert, dass merkt auch der Laie.

Das Programm besteht zum größten Teil aus Coverversionen. Doch Bolero Berlin fügen der Bibliothek an nachgespielten Songs nicht noch ein weiteres Dutzend hinzu. Sie entdecken den Südamerikaner in bekannten Songs, bringen so neue Seiten zum Vorschein und schreiben die Geschichte der Songs. Das wird schon beim ersten Stück deutlich. Man hat Schwierigkeiten die "Windmills of your minds" zu erkennen. Selbst Michel Lagrand wusste bisher nicht, wie vielmehr Rhythmus in seinem Übersong steckt, das es mal Mambo, mal Gypsy-Swing sein kann.. Aus dem eher verhaltenen Lied über das Kopfkarrussel  eines Verliebten wird ein lebensbejahendes Stück Musik. Jedes der zahlreichen Soli lotet eine andere Ecke der musikalischen Grundlage aus. Mal singt Manfred Preis mit der Klarinette, mal Martin Stegner an der Viola.

Helmut Nieberle ist das Mastermind.
Auch für "Summertime" hat Helmut Nieberle das Arrangement geschrieben und dem Übersongs des klassichen Jazz ganz andere Ansichten entlockt. Nach dem verhalten Anfang mit Raphael Haeger am Klavier nimmt der Blues solch ein Tempo auf, biegt um diese Ecke und schaut mal in dieser Stilecke vorbei, dass die zuckersüße Kruste der Vorlage ziemlich bald verschwindet und ein Filetstück zum Vorschein kommt.

Was Bolero Berlin zu einem der besten Jazz-Ensembles der Jetztzeit macht, ist der runde und volle Klang. Helmut Nieberle an der Gitarre, Daniel Gioioa an der Perkussion und Matthew McDonald am Bass legen nicht nur ein belastbares Rhythmus-Fundament, das auch mal hier und mal dort eine Petitesse setzt und das kleine Extra zeigt. Gelegentlich Nieberle mit einem zurückhaltenden Solo auch zeigen, dass das Ensemble auf allen Positionen mit Könnern der Extra-Klasse besetzt ist.

Aber es geht auch langsamer. Die Eigenkomposion "Chornho a Moda da Casa", der Chroinho nach Art des Hauses, kommt leicht und locker daher und erinnert doch an Regentage unter einem südlichen Himmel.

Dann wagen sich Bolero Berlin an eine Ikone der lateinamerikanischen Musik heran. Aber darf man Tango, darf man Piazzolla ohne Bandoneon spielen? Kann das überhaupt gut gehen? Ob man es darf, ist egal. Es klappt an diesem Abend gleich zweimal wunderbar. Die Bratsche übernimmt die Führung  und trägt die Melodie. Da ist es von Vorteil, dass es keine quietschende Violine sondern eben eine dunkle Viola ist.

Stegner macht auch das dunkel gefärbte Intro zu Besame Mucho, bevor Preis mit der Klarinette zustimmt. Alles deutet auch ein herkömmliche Interpretation hin, bis Nieberle drei Akkorde greift, von der Percussion abgelöst wird, das Klavier die Führung übernimmt und das Tempo ganz sachte aber ständig anzieht. Die Gitarre bekommt ein Solo und noch erinnert der transparente Sound an Working Week. Doch dann wird Daniel Gioia von der Leine gelassen und man fühlt sich  in die besten Zeiten von Carlos Santana versetzt.

Manfred Preis ist der Mann an der
Rampe bei Bolero Berlin.
Kurt Weil erfährt an diesem Abend gleich drei Überarbeitungen. Dabei bleiben der Tango Habanera und der September Song überraschend entspannt und zurückhaltend. Am "Mack the Knife" haben sich schon Generationen von Musiker versucht. Legendär ist sicherlich die die Version von Louis Armstrong, verkopft und anstrengend das Dou von Sting und Gianna Nannini. Doch soviel Leben wie die Version von Bolero Berlin haben sie alle nicht. Wie gesagt, das Sextett stellt nicht einfach weitere Coverversionen in die Bibliothek der Musikgeschichte. Sie erweckt das Material zu neuen Leben.

Danach trieb Macheath sein Unwesen bestimmt nicht in London, sondern lebte ein schönes Leben an der Copa Cabana. Klavier, Klarinette, Bratsche und Gitarre, sie dürfen alle einmal temporeich über das Thema improvisieren und finden sich doch wieder. Die Frage, ob dies Version mehr Bossa Nova oder mehr Jazz ist, die können die Schubladendenker für sich beantworten. Alle anderen freuen sich einfach an einer außergewöhnlichen Darbietung.

Das Publikum kann nicht nur mit den Füßen wippen und mit den Finger schnippen. Zum Schluss kann es auch noch außerordentlich applaudieren und es erklatscht sich die fälligen Zugaben. Schließlich ist der Auftritt von Bolero Berlin das bemerkenswerteste Gastspiel dieser Saison. Die Frage, ob man lieber Tango hört oder nach Hause fährt, hätte Martin Stegner gar nicht erst stellen brauchen. An diesem Abend beantwortet sie sich von selbst.

Der youtube-Channel von Bolero Berlin

Die Kreuzgangkonzerte
  


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