Mehr als nur eine Abrechnung

Hamed Abdel-Samad zeichnet ein Psychogramm

Auch wenn der Untertitel reißerisch klingt, war die Zeit doch überreif für dieses Buch. Und es ist gut, dass es von diesem Autor kommt. Doch es dem Anspruch des Autors, die Diskussion über die Reform des Islam zu befeuern, gerecht wird, dies wird die Zeit zeigen müssen.
Mit "Mohammed - Eine Abrechnung" wendet sich Hamed Abdel-Samad sicherlich nicht an die Gemeinschaft der Theologen. Sein Anspruch ist es, ein breites Publikum zu erreichen, um dort die Grundlagen für eine eigenständige Sicht zu legen. Das Potential dazu hat das Werk allemal. Damit könnte das Buch den Anstoß geben für eine Diskussion an der muslimischen Basis über die Zukunft des Islams in einer säkularisierten Welt.
Es ist das erste populärwissenschaftliche Buch auf Deutsch, dass sich eingehend mit der Figur Mohammeds beschäftigt. Es ist flüssig und verständlich geschrieben und man kann der Argumentation des Autors ohne Zusatzmittel folgen. An seiner Sachkenntnis gibt es wohl kaum Zweifel. Dennoch kommt sein Anspruch einer kleinen Revolution gleich. Er will den Islam von der Überhöhung seines Propheten befreien. Bitte genau drauf achten: Er will den Islam von der Überhöhung befreien. Er will ihn nicht vom Propheten befreien. Denn die Existenz Mohammeds bestreitet er nie. Abdal-Samad ist kein Häretiker, er versteht sich als gläubiger Reformer und dieses Buch ist nach vier Bestandsaufnahmen ein erster Wegweiser zum neuen Ufer. Lesenswert ist es allemal.
Dazu geht Abdel-Samad bis intimste Detail. Er kombiniert bekannte Tatsachen und setzt sie zu einem neuen Bild zusammen. Dabei wagt er sich durchaus aber eben auch in die Bereichen der Küchenpsychologie vor, wenn er über das frühkindliche Trauma der Ausgrenzung spekuliert oder den Bruch in Mohammeds Biographie und in seiner Lehre nach den Verlust seiner ersten Ehefrau Chadidscha. Das klingt auf den ersten Blick sehr simpel, aber vielleicht sind Propheten auch nur Menschen und damit eben simpel zu erklären.
Diese Brüche, die eben auch zu Widersprüchen im Koran führen, arbeitet Abdel-Samad verständlich heraus und fügt sie in einen größeren Zusammenhang. Dabei geht es immer wieder um die Toleranz gegenüber Andersgläubigen. Den mehrdeutigen Suren stellt er die historische Realität gegenüber und die sieht nicht gut aus.
Hamed Abdel-Samad sagt, dass er
mit Mohammed abrechnet.
Foto: Verlag
Wenn man das Buch abseits des Untertitel liest, dann kann es viel zum Verständnis beim Laien-Publikum beitragen. So zeichnet es doch ein erstes Bild der arabischen Welt im 6., 7. und 8. Jahrhundert.
Den Vorwurf einer reißerischen Darstellung auf Niveau einer Soap Opera muss sich Abdel-Samad gefallen lassen, wenn er es um die Beziehung zu seiner Frau Aischa und deren Ränkespiel geht. Das erinnert doch an Dallas oder den Denver Clan. Aber vielleicht ist der Haushalt eines Propheten auch nur ein Haushalt voller Menschen. Immerhin ist es der Anspruch des Autors, den Propheten eben als kompletten Menschen zu zeigen.
Dennoch steht Abdel-Samad wie viele andere auch vor dem Problem der dürftigen Quellenlage. Die erste Mohammed-Biographie erschien erst 150 Jahre nach seinem Tod. Wie zuverlässig die zahlreichen und Hadhiten sind, dies reißt er nur an. Zu Ende führt er diese Diskussion nicht.
Dort, wo die Aktenlage eindeutig ist, dort entwickelt das Buch vielleicht seine besten Seiten. Abdel-Samad zeigt den roten Faden der politischen Instrumentalisierung der Figur Mohammed durch die jeweiligen Herrscher seit dem 7. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Dies macht er bis zu bitteren Neige, wenn er argumentiert, dass der IS sich den Kriegsherren Mohammed als Vorbild und Argumentationshilfe für aktuelle Kriegsverbrechen einverleibt.
Man muss der Argumentation von Abdel-Samad nicht folgen und dieses Buch kann bestenfalls der Anfang sein, die Person Mohammed neu zu bewerten. Wenn dies gelingt, dann ist aber schon eine Menge geschafft. 


Das Interview mit Hamed Abdel-Samad


Darum geht es: Das Buch
Der Hamed Abdel-Samad bei wikipedia

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