Einfach mal nett geplaudert

Friedrich Schorlemmer und Gregor Gysi vertragen sich

Ein Hauch von Geschichte wehte durch den Kreuzgang Der kapitelsaal wird bis auf den letzten Platz ausverkauft, als Friedrich Schorlemmer und Gregor Gysi dort aufeinandertreffen. Wer nun hitzige Debatten erwartet hatte, weil die Protagonisten in der DDR einst auf unterschiedlichen Seiten standen, wurde enttäuscht. Vom Aufeinandertreffen kann also nicht die Rede sein. Es war eher ein Wiedersehen alter Bekannter.

Es wehte eher ein Hauch von Klassentreffen durch den Kreuzgang in Walkenried. Was auch am Moderator lag. Hans-Dieter Schütt ist nun auch kein Unbekannter. Als Chefredakteur der FDJ-Zeitung "Junge Welt" wetterte er einst gegen die kirchliche Opposition  in der DDR. Heute zeigt er sich ganz versöhnlich. Seit seiner Autobiographie "Glücklich beschädigt" von 2009 gilt Schütt als geläutert. Er ist immerhin Co-Autor des Buches "Was bleiben wird" und dieses war der Aufhänger für die Gesprächsrunde im Kapitelsaal.

Um den Verlust von Utopien in der bleiernen Zeit der DDR und um den Verlust der Utopien aus der Zeit der Wende geht es in dem Buch und damit auch in diesem Driegespräch. Doch erst ist das Gespräch ganz gegenwärtig.

Voll und erwartungsvoll war es im 
Kapitelsaal.   Alle Fotos: tok
Friedrich Schorlemmer macht den Anfang in der Klagerunde. Etwa 10 Jahre hätten die Euphorie und die Hoffnungen nach der Wende angedauert. Vom Verschwinden der weltweiten Konflikte und vom Ende der Kriege habe man damals geträumt. Das habe man sich als Friedensdividende erhofft. Doch nun habe die Globalisierung  für eine Verschärfung der Konflikte gesorgt. Der Aufstieg von Donald Trump sei das beste Beispiel für die aufbrechenden Konflikte.

Gysi sieht es ähnlich, aber eben doch ein wenig anders und startet seinen ersten Monolog. der Er betont Aspekte, die auf den ersten Blick, auf das erste Hören nur als Nuancen erscheinen, aber doch die unterschiedliche Antwort bei der Frage nach der Verantwortung deutlich. Der Westen konnte nach 1989 nicht mit dem Siegen aufhören, das sei der Grund für die derzeit missliche Lage. Der Westen und das Siegen, Gysi ist immer noch der Terminologie des Kalten Krieges verhaftet. In der friedvollen Stimmung des Abends fällt es nicht ins Gewicht.

Es lasse sich eine klare Linie ziehen aus der Nach-Wende-Zeit bis in die Gegenwart. Der Jugoslawien-Krieg war der Sündenfall weil er ein klaren Bruch des Völkerrechts war, dem weitere Brüche folgten. Zur Entstehung des Krieges auf dem Balkan, zu den gescheiterten Friedensverhandlungen kein Wort. Zum Hinterfragen ist niemand ins Kloster Walkenried gekommen.

Aber dann entdeckt Gregor Gysi dann doch, dass auch er seit 1990 zum Westen gehört. Bei aller Kritik an der Europäischen Union müsse man diese Institution doch retten. Nicht zuletzt die Entsolidarisierung in der Griechenland-Krise zeige Handlungsbedarf.

Parteiübergreifenden Handlungsbedarf gibt es für Gregor Gysi im Kampf gegen den Rechtsextremismus. Wie der aber aussehen könnte, dazu kommt kein einziger Nebensatz. Überhaupt ist der gesamte Abend konkret Unkonkret. Alle drei Diskutanten stochern größtenteils im Nebel. Sie machen Andeutungen und setzten voraus. Deutlich wird dies bei der "Schwerter zu Pflugscharen"-Aktion", nicht ein erläuterndes Wort, aber immerhin liegt das Ereignis mittlerweile 33 Jahre zurück und fand auch nicht im Westen statt.

Gregor Gysi hat immer einen  Gedanken parat
Das ist das Dilemma. Schütt, Schorlemmer und Gysi verharren in den Verhaltensmustern der DDR. Dort genügte die Andeutung und alles war klar. Die Kritik fand meist im still Mitgesagten statt. Zuhörer aus der Generation U 40 hätten wohl Probleme, das Nichtgesagte zu verstehen. Doch deren Vertreter sind dem Abend sowieso fern geblieben.

Dann wird Gysi doch noch konkret: "Der Kapitalismus kann nicht die letzte Antwort sein", lautet sein Credo und damit erntet er noch nicht einmal Widerspruch. Aber die gesamte Linke kümmere sich leider zu wenig um wirtschaftliche Themen.

Aber dann geht es ans Eingemachte. Woran ist die DDR gescheitert? An der Mittelmäßigkeit und daran, dass sie die Intellektuellen verjagt hat, nach der Phase der Utopie und des Aufbaus. In den 70er Jahren gab es im Wsten die Floskel dass der Kommunismus ja eine tolle Sache sei, die Menschenheit dafür aber noch nicht reif genug. Gysis Diktum erinnert fatal an die Phrase. Was ein System wert, für das die Menschen nichts taugen, diese Frag stellt Gysi nicht. Die Goethische Genie-Theorie paart sich mit Hegelscher Dialektik.

Aber Gysi spricht auch vor den anderen Lebenslügen der DDR und zeigt damit, dass er weiter ist in der Trauma-Therapie als viele seiner Genossen. Da ist die Lebenslüge des Anti-Faschismus. Auf der einen Seite war der aktive und historische Kampf gegen die Nationalsozialisten ja Rechtfertigung für die DDR und Gysis Vater Klaus selbst Widerstandskämpfer, auf der anderen Seite haben viele Nazis ihren Weg in die SED gefunden.

Zum Schluss gab es Schierker für alle.
Alle Fotos: tok
Aber Gysi schafft auch den Sprung in die Soziologie. Bis zu ihrem Ende hätte die DDR die Verhaltensmuster der 50er Jahre konserviert. Es war ein Gesellschaft ohne Dynamik und die Führung orientierte sich an den proletarischen Ansprüchen der 20er Jahre: Arbeit, satt, Dach überm Kopf.

Friedrich Schorlemmer bleibt es überlassen, über den Umgang mit dem Mangel und den Repressalien zu berichten. Er spricht vom Wert des Zweifel und vom Unwert des Verzweifelns, davon, dass es auch gut sein kann, Gott zu zweifel. Gefährlich sein lediglich der Nichtzweifel, das ist ein Satz wie fürs Poesie-Album. Schorlemmer berichtet von den vielen Begegnungen mit der Staatsmacht, auch von den Begegnungen mit Klaus Gysi. Er spricht von dem fein austarierten Systemen, von den vielen Nebenbedeutungen des Nichtgesagten, von einem Katz und Maus-Spiel, bei dem niemand den anderen wirklich weh getan hat.

Er bestätigt den Ruf der DDR als Nischen-Gesellschaft. Aber auf dem Podium sitzen ja keine Soziologen oder andere Wissenschaftler, sondern drei älterer Herren, die sich über das unterhalten, was den größten Teil ihres Lebens ausgemacht hat. Da sind Zeugen und nicht die Richter auf der Bühne, das ist kein Historiker-Konvent.

Darin liegt der Reiz der Veranstaltung: eine nette Plauderstunde über die Vergangenheit. Es fehlen nur noch ein Kamin, drei Gläser-Whiskey und der Satz, dass unterm Honecker doch nicht alles schlecht war.
      


Das Interview mit Gregor Gysi
Gregor Gysi bei wikipedia

Friedrich Schorlemmer bei wikipedia

Co-Autor Hans-Dieter Schütt bei wikipedia
"Glücklich beschädigt", Schütts Autobiographie beim perlentaucher

Das Buch "Was bleiben wird" beim Aufbau Verlag und bei google books


Das Programm der Kreuzgangkonzerte

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