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Die Pop-Stars unter den Barockern

4 Times Baroque spielt bei den Händel Festspielen in Einbeck

Rotzfrech, aber das auf höchstem Niveau. 4 Times Baroque  sollen die Pop-Stars unter den Barock-Musikern sein. Das behauptet zumindest der SWR. Im Rahmen der Händel Festspiele spielten die Frankfurter am Mittwoch in Einbeck. Das Konzert in der Münsterkirche St. Alexandri war nicht nur erfrischend sondern auch unterhaltsam lehrreich. Das ausverkaufte Auditorium quittierte die Show mit viel Beifall.

Nach dem Konzert der London Handel Players war das Gastspiel des jungen Quartetts eine weitere Präsentation barocker Lebensfreude hin zu einer entspannten Rezeption alter Meister im rahmen eines ganzheitlichen Konzepts. Das Ensemble ist Teilnehmer des eeemering-Programms und in diesem Rahmen haben die vier Musiker Kunststudenten und KWS-Mitarbeiter bei einem Workshop in Bad Grund begleitet. Parallel zur Musik gab es in St. Alexandri Videosequenzen dieser Zusammenarbeit.

Schon in der Ouvertüre aus Händels Oper Rinaldo gibt die Blockflöte die Richtung vor. Jan Nigges agiert wie eine Ian Anderson der Barockmusik. Die Geschwindigkeit ist atemberaubend und das Ohr kommt kaum mit.

Zur Musik gab es Videos.
Alle Fotos: Kügler
Der weiche Holzbläser wird mit einer scharfen Geige kontrastiert. Jonas Zschenderlein setzt seinen Bogen hart und prägnant auf die Saiten. Das Klangbild erinnert an alte Musik, an sehr alte. Über dem Basso continuo bauen Nigges und Zschenderlein eine Spannung auf, die auch trägt.

Jan Nigges ist ein eloquenter Moderator, der das Publikum launig durch das Programm führt. Ganz nebenbei erklärt er Fehler der Musikgeschichte und er Kompositionskunst und erklärt, dass polnische Kneipen musikalisch wohl ein wahrer Schatz an Anregungen sind.

So vorbereitet starten Ensemble und Publikum in die Trisonate d-Moll von Pierre Prowo. Im Allegro nehmen Nigges und Zschenderlein gleich ordentlich an Fahrt auf. Flöte und Geige laufen freundschaftlich verbunden um die Wette oder vielleicht auch nur so zum Spaß. Auf jeden Fall sprudeln sie über vor lauter Tönen.

Das Adagio wirkt wie ein Vollbremsung. Über das Pizzicato der Violine legt die Blockflöte ätherische Linien. Alexander von Heißen untermauert dies mit kräftigen Akkorden am Cembalo. Verzögerung muss also nicht in Innerlichkeit ertrinken.

Ohne Bruch kommt der Wechsel zurück ins Allegro und das alte Thema taucht wieder. Mit dem tänzerischen und polnisch inspirierten Presto endet die Interpretation furios.

Jan Nigges ist Flötist und Moderator.
Foto: Kügler
Mit dem dreigeteilten Kammerkonzert F-Dur hat Antonio Vivaldi nicht nur einen Urtyp geschaffen und ein ganzes Genre geschaffen. 4 Times Baroque zeigen im Dreiklang von Flöte, Violine und Cello auch, was den besonderen Reiz barocker Musik ausmacht. Es ist die Improvisation über einem gemeinsamen Thema und das passgenaue Treffen an verabredeten Punkten. Wer will, der kann hier die geistige Verwandtschaft zum Jazz entdecken.

Im schleppenden Largo legt dann Karl Simko mit dem schroffen Cello den Grund, über dem die vogelgleiche Flöte fabuliert. Doch mit dem Cello-Solo erdet Simko die Flöte und das Publikum wieder.

Die Innerlichkeit wird mit einem rasanten Allegro beendet. Die Streicher erklingen im gewohnten Vivaldi-Sound. Zschenderlein steigert sich zu einem Violin-Solo, das den Rand des Erfassbaren erreicht. Der ganze Kirchenraum ist erfüllt mit Wohlklang im Up Tempo. Doch, das geht.

Als hätten sie nicht verabredet. Noch vor Wochenfrist hatten die London Handel Players beim Gastspiel in der Aula Göttingen bewiesen, dass barocke Musik und Tanz einst eine unlösbare Einheit waren. Nun kommt ihnen der Nachwuchs zur Hilfe. Er spielt auch Arcangelo Correli und dessen Sonate op. 5. Auch deren siebte Ausgabe ist eine Aufzählung einstiger Tanzkunst.

Die Corrente korrespondiert wunderbar mit dieser obigen These. Im Trio mit Cembalo und Cello setzt Zschenderlein die hüpfenden Töne, um in der Sarabande zu einer weichen Bogenführung zu finden. Für die Jazzer wäre das wohl der Blues.

Geige und Cembalo, ein schönes Paar.
Foto: Kügler
Doch der dauert nicht lang. In der Gige verbreitet der Wechselgesang von Violine und Cembalo wieder eine ausgelassene Stimmung.

„La Folia“ von Corelli gilt als epochales Werk. 4 Times Baroque machen daraus einen Parforceritt durch die Tempi. Alle acht Wechsel funktionieren präzise und ohne Übergang. Die Akkorde des Cembalos legen die Basis erst für die Solo-Flöte und im Allegro für das Cello. Im letzten Allegro nimmt Nigges die Herausforderung an und steigert sich noch einmal.

Vivaldi als musikalischer Visionär liegt dem Frankfurter Ensemble wohl besonders am Herzen. Sie präsentieren den Venezianer als Erfinder dessen, was 150 Jahre später als Programmmusik die europäischen Bühnen beherrschen wird. Sein Concerto „La Notte“ steckt voller allegorischer Klänge, die im Kopfkino die Bilder eines Venedigs mit geheimnisvollen Gassen und dunklen Plätzen hervorruft.

4 times Baroque, ihre Interpretationen und das Beiwerk gehen über das hinaus, was von einem barocken Konzert erwartet wird. Doch der freche Vortrag auf höchstem Niveau überzeugt und begeistert das Publikum. Viele sind neugierig geworden und finden an diesem Abend nach dem Konzert den Weg in die KWS Art Lounge. Dort sind die Ergebnisse des Workshops in Bad Grund zu bestaunen. So präsentieren die Händel Festspiele zum zweiten Mal in einer Spielzeit Barock als Gesamtkunstwerk und als Lebenseinstellung. 





Material #1: HändelFestspiele - Die Website
Material #2: HändelFestspiele  - Das Konzert

Material #3: eeemerging-Programm  - Die Website
Material #4: 4 Times Baroque  – Das Quartett

Material #5: KWS Art Lounge – Das Konzept







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