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Der Schah kam nur bis Berlin

Das Junge Theater rechnet mit der 68er-Generation ab

Die Revolution hat Geburtstag und das verlangt nach einem Theaterstück. Weil sie auch in der Provinz stattfand, betreibt das Junge Theater unter dem Titel "GÖ 68 ff" eine Retrospektive mit Nabelschau. Diese entpuppt sich als Dokumentationstheater mit hohen Ehrlichkeitsfaktor, wenn man genau hinschaut und aufmerksam zuhört.

Der Einstieg ist stilgerecht. Vom Katheder aus zitiert Jan Reinartz den Übervater Theodor W. Adorno.
Es geht um Revolution und Anpassung und darum, wie sehr die Erinnerung doch täuschen kann. Das Konzept von Autor und Regisseur Peter Schanz ist einfach. Das Gerüst bilden Interviews mit Zeitzeugen und die diejenige, die sich dafür halten. Der Blick auf den Stückzettel macht deutlich, dass einige Befragte sich 1968 noch weit ab von Göttingen befanden. Da sprach wohl eher der Promi-Faktor als das Prinzip Betroffenheit für die Befragung.

Katheder ist das eine Symbol für die Studentenunruhen 68 folgende, das Megaphon das andere und das macht sich gleich lautstark bemerkbar. Mit der kraftvollen Störung des akademischen Vortrags hat Schanz einen adäquaten Auftakt vorgelegt. Der Bruch mit der verkopften Tradition wird mehr als deutlich.

Achtung, Revolution ist angesagt.
Alle Fotos: JT/D. Heise
Natürlich erfolgt hier auch die Überwindung tradierter Schranken. Künftig wird das gesamte Theater zur Spielfläche und die Trennung zwischen Akteuren und Zuschauern wird aufgehoben. Adäquat.

Der Aufbau erfolgt nicht Szenen oder Akten sondern in Tagesordnungspunkten. Sieben Stück sind es und sie sind themengerecht auf sieben Bettlaken notiert, die nach und nach von der Decke herab entblättert werden. Ein schöner Einfall

Göttingen muss 1968 ja ein furchtbares Kaff gewesen. An allen Ecken saßen und lauerten die Relikte des Nazi-Regimes. In Amt und Würden schienen sie noch immer die Geschicke der Stadt und der Universität zu lenken.  Vor der Gefahr der verfälschten Erinnerung durch die Beteiligten und ihre Epigonen wurde an Anfang gewarnt. Aber offensichtlich haben auch die Nachgeborenen hier ihre Erinnerung mit eingebracht. Es scheint, als wollte man die Studenten von 1968 zu den Urvätern der Antifa machen.

Bezahlt wird dies mit der weitgehenden Ausblendung der Kapitalismuskritik. Damit wird die Studentenbewegung postum um eines ihrer wichtigsten Anliegen gebracht. Damit werden auch die Gräben, die in der Folge zwischen maoistischen, marxistisch-leninistischen, stamokapistischen Gruppierungen aufbrachen, schwer verständlich. Die Studentenbewegung wird damit inhaltlich kastriert und auf pubertäres Aufbegehren reduziert. So verhallen die sich immer wieder überlagernden Stimmen und Postulate fast ohne theatralische Wirkung.

Nicht nur die Erinnerungen können die Ereignisse in der Retrospektive verzerren. Auch wenn der Wunsch nach Geschichtsträchtigkeit die Erinnerungen in den Dienst der Gegenwärtigen stellen willen.

Ein Bericht aus der Hölle des Vietnamkriegs.
Foto: D. Heise
Doch die treudeutsche Nabelschau wird eindrucksvoll gebrochen. Vor dunkler Bühne, nur mit einem Spot beleuchtet, in Büßerhaltung und hinter Gittern eingesperrt tragen Katharina Behl und Franziska Lather aus dem Tagebuch eines vietnamesischen Opfer des US-amerikanischen Napalmkriegs vor. Das wissende Gekicher des Publikums verstummt innerhalb von Sekunden, zu berückend sind die Erzählungen und ihre Darstellung. Unvorstellbare Grausamkeit wird ins Gedächtnis gerufen und bekommt eine Gestalt. Das ist wohl die stärkste Szene, Klamauk verbietet sich hier.

Doch, doch, der studentischen Ernsthaftigkeit setzt Peter Schanz immer wieder Klamauk entgegen wie zum Beispiel den Kampf um die richtige Erinnerung und die passende Bartlänge. Wer die Glorifizierung einer Generation befürchtet, kann beruhigt sein. Der Überhöhung folgt postwendend die ironische Brechung.

Das kann auch bis zur Verballhornung gehen wie der Umgang mit Rudi Dutschke zeigt, dem Rockstar der Revolte. Groupie-Gekreische begleitet seinen recht trockenen Vortrag und erst in der Folge können sich Karsten Zinser und Jan Christoph Grünberg in der Doppelrolle als Dutschke in die revolutionäre Ekstase steigern. Das lässt nicht nur schmunzeln sondern eröffnet auch einen neuen Blickwinkel auf den Personenkult der Antiautoritären.

Überhaupt, je länger die Vorstellung dauert, desto größer wird die Distanz und die unverhohlene Kritik am Treiben der 68-er. Immer häufiger schimmert der treudeutsche Eifer durch, der schon die Eltern getrieben hat. Es kulminiert dann in der Frage der Kindererziehung, als Jan Christoph Grünberg die Kritik an der mangelnden Distanz zur Pädophilie deutlich macht. Er bricht seinen Vortrag kalkuliert ab und es scheint ein Augenblick lang auch eine persönliche Stellungnahme zu sein. Wieder herrscht im Publikum jenes betretene Schweigen.

"GÖ 68 ff" ist weniger Dokumentationstheater als vielmehr eine Diskussion über die Folgen von 1968 und das in ehrlicher Form. Das ist in Zeiten, in denen man genötigt wird, alles gut zu finden, ein deutliches Zeichen. Schanz schafft es zudem, die revolutionäre Energie der Welterneuerer zu vermitteln, ohne in die Verherrlichung zu verfallen.







Material #1: Junges Theater - Der Spielplan
Material #2: Junges Theater - Das Stück

Material #3: Rudi Dutschke - Die Biografie
Material #4: Benno Ohnesorge - Der Mord beim Besuch des Schah 1967
Material #5: Theodor W. Adorno - Die Biografie

Material #6: Vietnam - Der Krieg


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