Dienstag, 6. Juli 2021

Frieden mit Gott und der Welt machen

Premiere im DT Göttingen: Ein Hiob, der zutiefst berührt

Was uns in den Zeiten des Streaming fehlte, sind die tiefen Emotionen und die Empathie, das macht “Hiob” in der Inszenierung von Matthias Reichwald deutlich. Am Samstag war Premiere im Deutschen Theater Göttingen. Das Publikum war zurecht begeistert. 

Am Ende macht der Protagonist Mendel Singer Frieden mit sich selbst, seinem Gott und der Welt. Doch bis es so weit ist, präsentieren Reichwald und das Ensemble eine weite Reise durch die verschiedenen Spielarten des Unglücks. Es ist ein Stück für Erwachsene. Die Inszenierung stellt Fragen, ermöglicht dem Publikum viele Analogien und bereitet den Boden für eigene Antworten. Der Wandel, den die Protagonisten im Laufe der Aufführung durchmachen, ist konsequent und verständlich.

Ob das Happy End im xs-Format nun ein Wunder, die Folge moderner Medizin, auf Zufall basiert oder aus einer Kombination besteht, diese Frage darf jeder Zuschauer sich selbst beantworten. Klar ist nur, dass Mendel Singer letztlich Recht behalten hat, dafür aber einen hohen Preis bezahlt hat.

Ab sofort hat Mutter das Sagen. 
Alle Fotos: Thomas Müller
Die Romanvorlage von Joseph Roth breitet auf etwa 200 Seiten das Leben eines einfachen Mannes im ländlichen Russland der Jahrhundertwende aus. Die Masse an Informationen, Bedingungen, Zeitbezügen und Milieustudien bekommt Reichwald mit einem überzeugenden Konzept in den Griff. Er präsentiert eine Mischung aus szenischer Lesung und Schauspiel. Die Rahmenbedingungen und die Handlung werden erzählt, wichtige Stadien dargestellt.

Roth hat seinen Roman in seinem Milieu angesiedelt, das heute von vielen als Stetl romantisiert wird. Dabei war es ein Leben an der Armutsgrenze. Das machen schon die Kostüme deutlich. Sie scheinen aus der Altkleidersammlung zu stammen und haben ihre besten Tage sehr lange hinter sich. Mit dem Verzicht auf Historismus transportiert Elena Gaus die Not auch in die Gegenwart. 

Im zweiten Akt ändert sich alles, auch die Kleidung. Es glitzert und glämmert. Nur Mendel Singer bleibt seinem Pullover treu. Er ist ihm zur zweiten Haut geworden.

Das Bühnenbild von Jelena Nagorni ist der besondere Clou. Es besteht nur aus einer großen Wippe. Das reduzierte Bild lässt die Akteure zur Geltung kommen und es unterstützt die Aussagen der Inszenierung. Als Monument des Erfolgs kommt später eine Kühlschrank hinzu. 

Im ersten Akt sieht man die Unterseite der Wippe. Es ist das ärmliche Haus der Singers, das fast schon wie eine Höhle wirkt. Das Dach scheint nicht dicht zu sein und jedes Mal, wenn ein Kind der Singers die Heimat verlässt, nimmt es ein Stück Wand mit. So bleibt nichts von der schützenden Funktion.

Im zweiten Akt kippt die Wippe.In der Draufsicht wird sie zur schrägen Ebene. Es ist schwer, hier Halt zu finden. Mendel Singer wird es nicht schaffen. Ironischerweise wird gerade der Kühlschrank zu seinem Rückzugsort, zu seiner neuen Heimat. Diese alles zusammen ergibt eindrucksvolle Bilder, die auch noch weit nach der Vorstellung faszinieren. 

Dazu kommt eine erstklassiges Ensemble. Jeder und jede scheint am richtigen Platz. Gerd Zinck scheint wie geschaffen für die Rolle des Mendel Singers. Zurückhaltend bringt er die stoische Gelassenheit diese schicksalsergebenen Mannes auf die Bühne. Seine Gestik bleibt meist sparsam und die Stimme leise und unaufdringlich. Jedes Wort, dass er von sich, gibt er mit Bedacht von sich.

Der Kühlschrank wird zur neuen Heimat.
Alle Fotos: Thomas Müller
Zinck nimmt das Publikum mit. Man ist hin und hergerissen zwischen Verständnis, Mitleid und der Aufforderung "Junge, werde doch endlich wach". Dieser Zwiespalt geht an die Nieren.

Dennoch wirkt Zinck, ist er der Mittelpunkt der Aufführung. Das ist große Schauspielkunst. Wem da nicht manchmal der Kloss im Hals steckenbleibt, der hat kein Herz, so gar keins.

Die stärkste Entwicklung in dieser Inszenierung bringt Rebecca Klingenberg in der Rolle der Deborah Singer auf die Bühne. Von der gehorsamen Ehefrau wandelt sie sich glaubhaft zur treibenden Kraft. Irgendwann hält sie es in diesem Elend und mit diesem Mann nicht mehr aus. Mit immer größeren Gesten verkörpert Klingenberg, den immer größeren Raum, den Deborah für sich beansprucht. Ihre immer schnellere Sprechweise zeigt, dass sie die Geduld verloren hat. Doch sie begibt sich in eine Welt, die sie überfordert. Ein Betrag von 10 Dollar überfordert eine Frau, die bisher jede Kopeke zweimal umdrehen musste. 15.000 Dollar erst recht. Das sprengt ihre vertrauten Dimensionen.

Da ist der Zerfall ihrer Ehe nur die logische Folge. Hier liegt eine Stärke dieser Inszenierung. Reichwald zeigt, dass äußere Handlung und innerer Gemütszustand immer korrespondieren sollten. Sonst kam es nicht klappen. Singer stellt den Ausreiseantrag mit Widerwillen, also steht die Reise unter keinem guten Stern..

Als multiple Persönlichkeit zeigt Florian Eppinger, wie wenig es braucht für gutes Schauspiel. Im Kaftan ist er der Rabbi, mit einer Filzdecke über dem Kopf ist er Sameschkin, der Fuhrmann, der sich vor den Unbillen des Wetters schützt. Die Brille auf der Nase macht den Arzt und mit der Pelzmütze auf dem Kopf wird Eppinger zu Kapturak, einer zwielichtigen Gestalt, die ihren bescheidenen Wohlstand aus der Not der anderen zieht. Dabei ist die Anlage dieser vielfältigen Personen vielleicht ein wenig zu gleichförmig geraten. 

Wie einfach aber auch umfassend Theater funktioniert, verdeutlichen die Büroszenen am Ende des ersten Akts. Ohne viele Worte und nur mit übertrieben Gesten, also fast schon im Stummfilm-Modus, bringen die Akteure die Mühlen der Bürokratie zum Laufen. das wirkt auch noch 90 Jahre nach der Veröffentlichung der Romanvorlage

Nach der zweiten Premiere im geschlossenen Haus des DT bleibt die Erkenntnis: Endlich wieder Theater, endlich wieder applaudieren, endlich wieder weinen dürfen.


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