Die Themen Liebe und Barock sind noch lange nicht ausgereizt

Jochen Kowalski und das „Junge Barockorchester Berlin“ beim gemeinsamen Liederabend


Als Partner auf Augenhöhe zeigten sich Jochen Kowalski und das „Junge Barockorchester Berlin“ beim gemeinsamen Liederabend am 7. Juni bei den Kreuzgangkonzerten in Walkenried. Aber sie zeigten auch, dass das Thema Barockmusik noch lange nicht ausgereizt ist und das es noch viele musikalische Perle und Schmuckstückchen zu entdecken gibt.
Unter dem Titel „Wo die Liebe wohnt“ wurden barocke Liebesarien mit einem der besten Countertenöre der Gegenwart angekündigt. Doch die Ankündigung war zu kurz gegriffen, denn der Liederabend entpuppte sich als Wechselspiel zwischen Gesang undKammermusik mit Partnern auf Augenhöhe, mit einer musikalischen Liebeshochzeit und mit einigen anderen Überraschungen. Die Themen Liebe und Barock sind noch lange nicht ausgereizt.
Obwohl Jochen Kowalski seit mehr als 30 Jahren auf den großen wie kleinen Bühnen der Welt steht, hat er immer noch Spaß an dem, was er tut und was er singt. Diese Freude kann er dem Publikum vermitteln und diese Freude wird das Publikum an diesem Abend mitreißen. Denn der Spaß an der Sache macht aus dem Abend nicht eine Abfolge von Liedern unter einem Thema, sondern Kowalski tritt ein in den Dialog mit seinen Zuhörer, erklärt, stellt Zusammenhänge her und gibt auch Unbekanntes aus der Musikgeschichte preis.

Das Ensemble

Das sind Partner auf Augenhöhe. Alle Fotos: tok
Den Anfang macht das Ensemble und verdeutlicht mit der Ouvertüre aus Händels Oper Rinaldo, dass es kein Beiwerk sondern Partner auf Augenhöhe ist und das Barockmusik voller Leben steckt. Besonders die schwungvollen Soli von Rahel Rilling und Daniela Gubatz überzeugen durch ihr exaktes und prononciertes Spiel. In der Cellosonate in a-Moll von Vivaldi ist es JuleHinrichsen, die als Solistin die Vielseitigkeit dieses Instrumentes zeigt und demonstriert, dass das Cello mehr sein kann, als das weiblichste der Streichinstrumente. Aus den weichen, lang gezogenen Tönen des Largo beschleunigt sie im Allegro geradezu rasant.
Im Allegro des Konzerts für 2 Violinen in a-Moll, ebenfalls von Vivaldi, zeigen sich Rahel Rilling und Daniela Gubatz als Partnerinnen. Aus dem vom Komponisten vorgegebenen Wettstreit zweier Solisten wird eher eine ergänzende Partnerschaft im kräftigen und temporeichen Saitenspiel. Mit Johann Gottlieb Graun steht anschließend ein Komponist auf dem Programm, der fast zu dem vergessenen Künstlern des Barocks zählt. Seine Sonate für Violine und Continuo in g-Moll ist durch den markanten Wechsel zwischen Siciliano und Allegro geprägt. Genau diesen Wechsel kann das „Junge Barockorchester“ überzeugend herausarbeiten.

Der Solist

Jochen Kowalski merkt man die Freude an. 
Auch Jochen Kowalski hat Freude an dem Können seiner Mitmusiker und diese Freude trägt er ins Publikum. Ist die Arie „Che faró senza Euridice“ noch so etwas, wie das Warmsing- Stück, weißt der Routinier selbst Glucks populärsten Werk einen individuellen Stempel aufzudrücken. Mit „Chi perde un momento“ aus Händels „Julius Cäsar“ macht er seine Sonderstellung unter den Countertenören deutlich. Kowalski verzichtet auf das Falsett und singt mit seiner natürlichen Stimme. Das ermöglicht ihm ein großes Volumen, eine natürliche Dynamik und einen enormen Umfang, wie er im zweiten Teil mit Haydns „Spanne deine langen Ohren“ noch einmal eindrücklich präsentiert: Ohne Verluste von den Höhen des Alts in den tiefen Keller des Tenors und wieder zurück. Aber seine Technik nimmt der Stimmlage auch die Spitzen, dadurch wirkt Kowalski souveräner und Entspannter und nicht so exaltiert wie manch anderer Kollege in diesem Fach. Damit ist Genuss von der ersten bis zur letzten Note garantiert.
Dadurch wirkt die hüpfende, die springende Verliebtheit in „Sen corre l'agnelletta“ von Domenico Sarri auch so natürlich. Aber dadurch ist der Abschiedsschmerz in Beethovens „La Patenza“ glaubwürdig. Zum Schluss des ersten Teils zeigt Kowalski sein gesamtes Können, seine individuelle Klasse und spielt sein gesamtes Potential in Händels „Their land brought forth frogs“ aus. Es hüpft und springt und quakt und vor dem geistigen Auge der Zuhörerschaft besiedelt die Frösche, die Gott schickte, um Ägypten zu strafen, auf einmal den Kreuzgang in Walkenried.

Das Zusammenspiel

Dass sich mit Jochen Kowalski und den Jungen Barockorchester eine kongeniale Paarung gefunden hat, beweisen Solist und Ensemble noch einmal zu Beginn des zweiten Teils in der Arie des Herkules aus Bachs Kantate „Lasst uns sorgen, lasst uns wachen“. Das prononcierte Violinenspiel ist die Ergänzung zur dynamischen Stimmen und zusammen verdeutlichen sie den Kampf zwischen Moral und Wollust im Kopf des antiken Helds. Die besondere Partnerschaft zwischen den Streichern prägt auch das „Fuge und Grave“von Haase. Zwei Violinen, die sich ergänzen, bereiten den weichen Boden für den Klangkörper im schweren Grave. Mit Hamlets Fantasie von Carl Philipp Emmanuel Bach bekommt auch Orchesterleiter Daniel Trumbull den nötigen Freiraum, um sein gesamtes Können am Cembalo zu zeigen.
Zum Schluss gab es Blumen für alle. 
Doch die musikalische Überraschung an diesem Abend ist „What power art thou ...“ von Henry Purcell. Im dem Lied über den Frostgeist und die Macht der Liebe grummelt und brummelt, droht und dräut es düster im Stakkato so sehr, dass man sich an die Expressionisten wie Albert Giraud erinnert fühlt und nicht an den englischen Meister des späten 17. Jahrhunderts als Urheber glauben mag. Kowalski und seine Begleiter beweisen, dass das Barock zeitgemäßer ist, als man glauben mag und das die Spannbreite der Liebe zeitlos ist. Nach dem Kummer und der Qual als Haases „Pallido il sole ...“ entlässen das Orchester und der Solisten das Publikum mit einer heiteren, wienerischen Botschaft: Kommt ein Vogel geflogen,setzt sich nieder …
In wenigen Worten: Dieser Abend macht Appetit auf mehr.

Die Website der Kreuzgangkonzerte
Die Homepage von Jochen Kowalski
Die Website von Orchesterleiter Daniel Trumbull

Der Harzer Fragensteller stellt Fragen an Jochen Kowalski

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