Direkt zum Hauptbereich

Erich Kästner kann so sexy sein

TfN zeigt ein Kaleidoskop des Zerfalls

Mit "Fabian. Der Gang vor die Hunde" hat Erich Kästner 1931 einen Kommentar zum Zustand der Weimarer Republik abgeliefert. Erst vor drei Jahren ist der Roman in seiner Urform wieder aufgetaucht. Gero Vierhuff hat das Werk in eine Bühnenform gebracht. Uraufführung war am Freitag am Theater für Niedersachsen in Hildesheim. Dieses Kaleidoskop des Zerfalls überzeugt mit rabiater und schonungsloser Darstellung.

Kästners Analyse war für seine Zeitgenossen wohl zu starker Tobak. Auf jeden Fall musste er auf Drängen seines Verlegers musste er Passagen streichen und auch den Titel ändern. Der Roman erschien unter dem Titel "Fabian. Die Geschichte eines Moralisten" und er hat unverkennbar autobiographische Züge. In seiner ursprünglichen Form bietet der Roman viele Anknüpfungspunkte für die Jetztzeit, die Gero Vierhuff auch offen legt. Es ist die Beschreibung einer Gesellschaft, die orientierungslos durch einen rasanten Wandel tappt. In der Retrospektive gelingt der TfN-Produktion der Blick nach vorne.

Die Lust an Ausschweifungen vereint Fabian(vorne
links) und Labude(rechts). Alle Fotos: J. Quast 
Kästners Roman war auch stilistisch eine Herausforderung für die Zeitgenossen. Mit kurzen Szenen und schnellen Wechseln ahmt er die Techniken des Films nach. Die Umsetzung gelingt mit dem kargen Bühnebild von Marcel Wienand. Im Zentrum steht eine kleine Drehbühne, ausgestattet mit einem einzelnen Stuhl. Sie ist der Präsentierteller der Peep-Show, das Hamsterrad des Arbeitsleben und die Welt, die sich ständig weiterdreht, zugleich. Ergänzt mit wenigen Requisiten und mit den Bildern im Kopf des Publikums fungiert die Drehbühne mal als Club, mal als Atelier, mal als Werbebüro. So hält diese Inszenierung das Tempo als Lebensgefühl dieser Zeit, die man auch als die Roaring Twenties bezeichnet, aufrecht.

Da gelingt es Vierhuff die erste Parallele zum Jetzt herauszuarbeiten. Doch nach Jahren der Tempo-Euphorie steht Fabian daneben und fragt, was diese Beschleunigung dem Einzelnen gebracht hat. Offensichtlich litten schon die frühen 30er Jahren an einem Mangel an Work-Life-Balance. Vergleiche zu Döblins "Berlin Alexanderplatz" drängen sich auf.

Ein halbrunde, deckenhohe Wand mit einem halben Dutzend Türen begrenzt die Spielfläche nach hinten. So macht Wienand  die Bühne zur Arena. So ungefähr funktioniert wohl eine Circus Maximus, nur eben ohne Löwen. Kämpfe und Gladiatoren gibt es in diesem Krieg aller gegen alle genug.

Frau darf sagen, was sie will.
Foto: Jochen Quast
Kommunisten, Nationalsozialisten, Burschenschaftler, enttäuschte Ehefrauen, Direktoren, Angestellte, Gelegenheitsprostituierte, Kriegsversehrte, Sadisten, es ist ein bunter Schnitt durch eine Gesellschaft in der Übergangsphase. Die Figuren wirken, als wären sie einen Bild von George Grosz entsprungen. Es sind fast schon Zerrbilder, dies vermittelt auch die Maske mit gewollt schlechter Ausführung. Ein echtes Panoptikum.

Die Inszenierung beginnt mit schonungsloser Offenheit, mit kalkuliertem Schockeffekt. Fabian ist auf dem Weg zu einem Etablissement, der heute den Namen Swinger-Club tragen würde. Sexuelle Befreiung, vor allem die Auflösung kleinbürgerlicher Rollenverständnisse, die mehr oder weniger offene Rebellion gegen das Familienbild der Kaiserzeit. Dies thematisiert Vierhuff ganz offen und anschaulich. Damit sind die zahlreichen Sex-Szene keine Effekthascherei, sondern folgerichtig. Das Publikum bedankt sich bei der Premiere mit wiederholten Szenenapplaus.

Selten gab es auf der Bühne des TfN so viel Strapse und Unterwäsche zu sehen und selten wurde so oft auf der TfN-Bühne kopuliert. Ob dies in den Zeiten der allgegenwärtigen sexuellen Erregung und der Internet-Pornografie noch als Schocker funktioniert, das sei mal dahin gestellt. Das Publikum zeigt sich eher amüsiert. Auf jeden Fall überrascht es, dass der Autor, der vor allem mit Humor und Kinderbücher assoziiert wird, so sexy sein kann.

Doch, Jakob Fabian ist ein Moralist. Aber ein Moralist der anderen Sorten. Er drängt seinen Moralismus niemanden auf. Er ist lediglich ein Beobachter, der den Zusammenbruch konstituiert und sich gelegentlich zu einem Kommentar hinreißen lässt. Der Erschütterung seiner kleinbürgerlichen   Werte begegnet er mit Apathie, er ist wohl ein Vertreter jener Generation, die Hemingway einst als die verlorene Generation bezeichnet.

Im Gegensatz zu seinem Kameraden Labude hat Fabian das einschneidende Erlebnis des Ersten Weltkrieg immer noch nicht überwunden. Er lässt sich durch das Leben treiben, er spricht immer wieder vom Wartesaal, in dem er sitzt. Thomas Strecker macht diesen Desillusionierten lebendig. Er changiert glaubwürdig zwischen ewiger Junge und abgeklärter Zyniker. Sein Verzicht auf große Gesten und die Konzentration auf den Wechsel der Stimme zeigt, das die Titelfigur auch ein Gefangener seiner eigenen Welt ist. Nicht einmal der Verlust seiner großen Liebe Cornelia führt zu einer Verhaltensänderung. Jakobn Fabian bleibt Zuschauer und Thomas Strecker gestaltet diesen Zuschauer als sympathischen Typ. Er wirkt wie der nette Hipster von nebenan.

Am Schluss bleibt Fabian und Labude nur der Jammer.
Foto: Quast
Die Ergänzung dazu  ist Moritz Nikolaus Koch in der Rolle des Fabrikantensohn und Kriegskameraden Labude. In der Analyse der Zeit stellt des Salonsozialist dieselbe Diagnose wie Fabian. Er zieht andere Schlüsse, er will raus aus dem Wartesaal  und scheitert trotzdem ebenso wie Fabian. Auf der Suche nach Verlässlichkeit verzweifeln sie an der Beziehungsunfähigkeit ihrer Mitmenschen

Als Doktorand in der akademischen Dauerwarteschleife scheint Labude die Blaupause für die Generation Praktikum zu sein. Dies arbeiten Gero Vierhuff  und Moritz Nikolaus Koch deutlich heraus. Koch bedient sich dabei des gesamten Repertoire und hat für jede Situation die passende Antwort. Er  ist kontrolliert und reduziert, wenn es um Analyse geht, raumgreifend und gestenreich, wenn es um Visionen geht, und klein und verletzlich, wenn das Scheitern nicht zu verbergen ist.

"Fabian - Der Gang vor die Hunde" am TfN ist nicht nur der Blick auf eine vergangene Zeit. Gero Vierhuff ist eine Beschreibung des Jetzt gelungen, die mit Tempo und Offenheit fesselt und dessen beide Hauptdarsteller überzeugen.




Der Spielplan am TfN

Das Stück in der Selbstdarstellung

Material #3: Fabian.Der Moralist - Inszenierung am DT Göttingen



Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Viel Abwechslung mit nur einem Instrument

Vier Cellisten beim Kammerkonzert im Kunsthaus Wer Piazzolla spielt, kann kein schlechter Mensch sein. Schon gar nicht, wenn´s gleich zweimal Piazzolla ist. Bis es soweit ist, darf das Publikum einige andere Highlights beim Kammerkonzert der vier Cellisten im Kunsthaus Meyenburg erleben. Das Programm ist zweigeteilt. Vor der Pause gibt es bedächtige Romantik, nach der Pause wird es rhythmusbetont. Kein Grund zur Besorgnis: Das Cello schafft das schon. Das Instrument und das Ensemble bringen dafür ausreichend Potential mit. Erst klassisch, .... Den Auftakt macht Joseph Haydn und sein "Divertimento in D-Dur". Dies hat er einst für eben die Besetzung des Abends geschrieben, für vier Celli. Im zweiten Satz ist das Quartett das erste Mal gefordert. Das Allegro di molto verlangt ein präzises Zusammenspiel, damit der Dialog der Instrument funktioniert und er funktioniert. Im Allegretto des anschließenden Menuetts zeigt Sebastian Hennemann, dass ein Cello tanzen und hüpfen kann...

Eine Inszenierung auf Tratsch-Niveau

 Im DT Göttingen bleibt "Der junge Mann" an der Oberfläche Zu viel Narrativ, zu wenig Analyse. Die Inszenierung von Jette Büshel leidet an Oberflächlichkeit. Die Figuren werden nicht ausgelotet. Deswegen war die Premiere von "Der junge Mann" am 3. November zwar unterhaltsam, ging aber nicht unter die Haut. Das ist schade für das Ein-Personen-Stück auf der Studio-Bühne. In der autofiktionalen Erzählung "Der junge Mann" berichtet Annie Ernaux von ihrer zurückliegenden Beziehung zu einem 30 Jahre jüngeren Mann. Das Buch liegt seit dem Frühjahr in deutscher Übersetzung vor und postwenden haben Jette Büshel und Michael Letmathe ein Stück für das DT Göttingen draus gemacht. Strube bereit zur Berichterstattung. Alle Fotos: Lenja Kempf/DT GÖ Der erste Ansatz verpufft gleich. Seit der Ehe von Brigitte Trogneux und Emmanuel Macron haben Beziehungen zwischen älteren Frauen und jungen Männer so gar nix skandalöses mehr an sich. Auch das Duo Klum-Kaulitz hat null S...

Dieter Nuhr offenbart sich als Menschenfreund in Vollzeit

In Goslar zeigt er Werke, die Distanz schaffen Seit dem Auftritt von Christo hat keine Werkschau in Goslar solch ein Aufsehen erregt. Dieter Nuhr stellt dort aus unter dem Titel „Du denkst an durchfahrene Länder“. Es geht um Menschen und Landschaft, denen der Mann vom Niederrhein auf seinen Reisen um die Welt begegnet ist.  Zur Vernissage am 21. Juli war der Garten im Mönchehaus Museum bis auf den wirklich allerletzten Platz belegt. Direktorin Bettina Ruhrberg und Dieter Nuhr machten im Einführungsgespräch deutlich, dass man den Kabarettisten und Künstler voneinander trennen sollte, auch wenn es nicht immer gelingt. Schließlich geht es um zwei Seiten derselben Person.  Dieter Nuhr begann sein Studium als Kunstlehrer 1981 an der Folkwangschule in Essen. Er wollte Künstler werden, sein Vater bestand auf den Lehrer. ein typischer Kompromiss für die alte Bundesrepublik der 70-er und 80-er Jahre. Dass er dann Kabarettist geworden ist, bezeichnete er als Unfall und dann als Glücksfa...