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Romeo & Julia als Cliquen-Krieg

Theaterjugendclub überzeugt mit Shakespeare-Adaption

Ja klar, Romeo und Julia ist die Geschichte einer tragischen Jugendliebe. Da liegt es nahe, mal die Betroffenen zu Wort kommen zu lassen. In dieser Hinsicht hat der Theaterjugendclub Nordhausen mit 'romeoundjulia kein Neuland betreten. Aber die Inszenierung von Roland Winter zeigt, auf welch hohem Niveau sich Jungendtheater bewegen kann, wenn es die richtige Unterstützung bekommt. Und dann hat der Theaterjugendclub Nordhausen mit der Premiere am Samstag den zahhlosen Interpretationen doch noch eigenen Aspekte hinzugefügt. Also, was will man mehr.

Von den vielen Romeo & Julia-Adaptionen ist dies wohl diejenige für die Hardcore-Generation. Es gibt jede Menge Musik, Techno, Rammstein, Euro-Dance-Pop, Adele und was sonst noch so im Jugendclub und den Discotheken gespielt wird. Aber es ist vor allem der Auftakt. Erst stehen sich zwei Blöcke gegenüber und bedrohen sich, die Capulets und die Montagues. Dann beging eine veritable Massenkeilerei. Das ist nichts von der tänzerischen Eleganz der West Side Story. Die Choreographie von Daniela Zinner beschönigt nichts. Auch Mädchen können ordentlich zulangen und Gewalt ist für Jugendliche wohl ein probates Mittel der Konfliktlösung.

Die Welt steht still, als Julia und
Romeo sich treffen.  Fotos: T. Graner
Der Streit wird im Zuschauerraum verbal weitergeführt und die Wortwahl ist recht derb. Für diese Inszenierung hat Roland Winter eigens eine neue Textversion vorgelegt. Sie ist ganz auf Gegenwart getrimmt und nur selten schimmert der zeitlose Glanz des Originals durch. Gelegentlich muss es auf Biegen und Brechen Jugendsprech sein.

Da fällt auch schon mal ein Satz wie "Bock auf ficken?". Inwieweit das Effekthascherei oder authentisch ist, dass muss das Publikum und vor allem müssen dies die Darsteller selbst entscheiden. Aber gut, mit einem Sonett von 1596 lockt man 2016 keinen Jugendlichen mehr hinter dem Tablet hervor. Aber Roland Winter hat auch einige Stolpersteine eingebaut, über die sich vor allem Shakespeare-Liebhaber freuen. So geht es nicht um Nachtigall oder Lerche. Julia sagt ganz lapidar "Mein Spatz, es ist die Lerche." Nett.

Das Bühnenbild von Roland Winter schlägt eine Brücke. Die rostigen Gitterbau erinnern an die Architektur der norditalienischen Renaissance und dem großstädtischen Hinterhof zugleich.

Die Neuerung der Shakespeare-Rezeption liegt aber nicht in der Sprache, sondern in der Neugewichtung des darstellenden Personals. Es wurde aufgestockt. Altersgerecht spielt die Clique eine große Rolle und diese Cliquen müssen eben auch dargestellt werden.

Mercutio und Tybalt zwar weiterhin zwei furchtbare Aufschneider. Aber gerade Julian Krettek füllt diese Rolle großartig aus. Man weiß nie ob sein überstolzes Getue echt ist oder nur pubvertäre Unsicherheit übertünchen soll. Sein Fluch in der Sterbeszene dürfte aber ruhig deutlicher ausfallen.

Der Tod des Mercutio markiert den Wendepunkt.
Foto: Tillmann Graner
Benvolio in ein Mädchen zu verwandeln ist durchaus eine ausbaufähige Idee. Aber der entscheidende Wandel liegt in der Figur der Anne, die nun nicht mehr Amme sondern Freundin der Julia ist. Doch im jugendlichen Gefüge steht sie unten und muss Botendienste erledigen. Ihr Frust darüber verhindert letztendlich auch das Happy End. Sie zerreißt einfach den rettenden Brief an Romeo. Warum ist Shakespeare eigentlich nicht auf diesen lebensnahen Einfall gekommen?

In der Erzählung selbst folgt Roland Winter dem Original fast sklavisch. Er bildet die Szenenfolge eins zu eins ab. Auch in #romeoundjulia ist der Tod des Mercutio und des Tybalt der Wendepunkt, der eine schwierige Liebesbeziehung zur Tragödie verwandelt. Auch in dieser Inszenierung nimmt das Tempo noch einmal zu.

Es wird ernst, sehr ernst. Gab es bis dann auch einige  Lacher auf Ohnsorg-Theater-Niveau wird es nun düster. Sehr schön.

Der erste Wendepunkt liegt aber auf dem Fest der Capulets. Als Romeo und Julia sich das erste Mal gegenüber stehen, da steht die Welt still. So sieht Liebe auf den ersten Blick aus. Das Drumherum ist eingefroren und es gibt nur noch das Gegenüber. Diese poetische Darstellung zaubert einen wunderbaren Kontrast zu den harten Techno-Beats der Party.

Eine starke Inszenierung verab-
schiedet sich mit einer starken
Szene.     Foto: Tillmann Graner 
Hier hat Winter den eigentlichen Clou seiner Produktion eingebaut. Auf einmal stehen auch Romeo 2 - 5 und Julia 2 - 5 auf der Bühne. Die beiden Protagonisten habe nicht nur ein, sondern vier alter egos. Diese Paare spielen nun andere Möglichkeiten, andere Texte durch. Sie zeigen einen Ausschnitt an jugendlichen Verhaltensweisen in amourösen Angelegenheiten, von schüchtern bis direkt. Dieser Einfall zeigt nicht nur, dass es auch ganz hätte laufen können. Winter macht auch deutlich, dass es nciht nur eine einzige Julia und nur den einen Romeo gibt. Nein, solch ein Liebespaar taucht immeer wieder auf.

Diese Vermehrung gibt Daniela Zinner nun die Möglichkeit, in der einzigen Liebesnacht des frisch vermählten Paares ein wahres Ballet der Defloration. Egal auf welchem Wege, alle Liebespaare liegen sich am Ende in den Armen. Aber es ist eben ein sehr zärtlicher, lyrischer Weg zur Entjungferung. Ein heikles Thema sehr dargestellt.

Die starke Inszenierung verabschiedet sich mit zwei starken Szenen. Der Tod des Liebespaares ist in ein großartiges Bild gebettet. In das Grau in Grau des Bühnenbildes fällt ein leuchtend roter Vorhang und dann ist Stille.

In der letzten Szene hat sich Roland Winter dann vor der Vorlage gelöst. Es gibt keine Versöhnung über die Gräben hinweg. Auf der Bühne stehen sich wieder zwei Blöcke gegenüber und bedrohen sich. Dann folgt eine veritable Massenkeilerei.



Der Spielplan am Theater Nordhausen
Das Stück in der Selbstdarstellung


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