Ein Abend voller barocker Lebensfreude
London Handel Players verabschieden Cummings mit einem Feuerwerk der guten Laune
Von wegen knochentrocken und steif. Das Barock ist vor allem Lebensfreude. Das bewiesen die London Handel Players bei ihrem Gastspiel in der Aula der Universität Göttingen. Für einen Wermutstropfen sorgte einzige der Abschied von Laurence Cummings. Doch auch der löste sich zum Schluss in lautes Lachen auf.Musik und Tanz gehören ja eigentlich zusammen. Nur irgendwann zwischen damals und heute hat man diese Einheit aufgelöst. Dabei muss es wohl um Seriosität gegangen sein. Im ihrem Programm "Musik für einen König" heben die London Handel Players diese Trennung wieder auf und das mit Gewinn für alle Beteiligten.
Am Hofe Ludwig XIV. waren Musik und Tanz allgegenwärtig. Nicht nur Musiker, auch Choreografen gehörten zu den höfischen Angestellten. Damit prägte der Sonnenkönig das Lebensgefühl einer ganzen Ära. In den Bezeichnungen Courante, Bourée, Sarabande oder Passepied haben Relikte dieser Verbindung überlebt.
Barocker Tanz ist athletisch.
Alle Fotos: Thomas Kügler
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Ihr Programm starten sie mit dem Marsch aus Händels Scipio. Was erst gravitätisch daherkommt gewinnt immer mehr Leichtigkeit. Dafür ist vor allem Rachel Browns Spiel an der Barockflöte verantwortlich. Dann treten die Tänzerin und der Tänzer auf Parkett.
Das hatte man zuvor freigeräumt, die ersten Reihen aus der Querordnung gebracht und längs neu sortiert. Der Dancefloor ist also bereit. Gepaart mit den geschichtsträchtigen Kulisse Aula kommt ein höfisches Gefühl auf, als die Zuschauer auf dem Rang sich frische Luft zufächern. Gesamtpaket nennt man das heute. Wer will, kann sich der Illusion hingeben.
Die erste Überraschung: barocker Tanz ist leicht und locker und durchaus verspielt, aber auch athletisch. Der Tanz hat nichts gemeinsam mit dem steifen Geschreite, dass die Perücken- und Piratenfilme der 40er und 50er als historisch ausgeben. Mary Collins und Steven Player drehen sich oft und gelegentlich springen sie. Gerade Player zeigt artistische Fähigkeiten und höfische Rituale brechen sich in lebensfrohen Schritten.
Gleich sechs Tänze finden sich in der Suite Nr. 2 h-Moll von Johann Sebastian Bach. Auch hier verzaubert der Tanz durch seine gelebte Freude und den Verstoß gegen die Etikette. Tanz ist nicht Bewegung. Im Tanz kann man wortlose Geschichten erzählen, einzig mit dem Körper, mit Mimik und Gestik. Und das machen Collins und Player jetzt auch. Es ist ein Geschichte vom Umwerben, vom Stolz und Zurückweisung und Kränkung und trotzdem bleibt sie leicht und komödiantisch.
Aber Bach ist Bach und eben nicht Händel. Doch das ficht die Londoner nicht an. Sie schaffen den Übergang nahtlos. In ihrem Solo entfaltet Rachel Brown den weichen Klang ihre Holzintruments im vollen Umfang.
Butterfield und Player in er musikalischen Corrida.
Foto: Kügler
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Auf einmal hat sich Steven Player in einen Musiker verwandelt. Erst schlägt er auf der Barockgitarre Akkorde, dann zupft er eine Melodie und schreitet stolz einher wie ein Torero. Der Dancefloor verwandelt sich in einer Arena und Butterfield und Player liefern sich mit ihre Instrumenten eine musikalische Corrida. Diese kennt drei Sieger: Geige, Gitarre und Publikum.
Das Konzept scheint aufzugehen. Musiker un Tänzer werden mit Jubel in die Pause entlassen. Allen Zuschauern ist ein glückseliges Lächeln ins Gesicht geschrieben. So viele Lebensfreude gab es in diesem altehrwürdigen Mauern selten. Schon in der Pause dämmert die Erkenntnis, dass Performance wohl eine französische Erfindung des 17. Jahrhunderts sein muss.
Dann wird es historisch. Seit der Gründung des Ensemble war Laurence Cummings Mitglied der London Handel Players. In diesen 18 Jahre wurde das Ensemble zu einem der weltbesten wenn es um historische Aufführungspraxis geht. Das Gastspiel in Göttingen ist nun der Schlusspunkt. Cummings verabschiedet sich von den London Handel Players.
Barocke Maxime: Keine Party ohne Harlekin.
Foto: Kügler
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Doch bevor die Stimmung in Wehmut umschlägt wandeln sich in der Passacaille die feinen Gespinste in kräfige Akkorde, die eine Rhythmus ergeben, einen Beat gewissermaßen. An manchen Ecken scheint sogar das "Lean on me" von Bill Withers durchzuschimmern.
Nach diesem emotionalen Moment zeigen die London Handel Players, dass Musik und Tanz im Barock durchaus klassenübergreifend waren. In den sieben folgenden Stück volkstümelnd es deutlich, alle Werke sind von der Folklore geprägt. Die These von Rachel Brown, dass im Barock alle tanzten, Könige, Fürsten, Kaufleute, Handwerker und Bauern, wird hier untermauert.
Im "Chaconne d'Arlequin par M. de la Montague" darf Steven Player noch einmal sein komödiantisches Talent unter Beweis stellen. Sein Auftritt als Harlekin hätte dem Händel sicher gefallen.
Mit dem programmatischen Werk "Les Caractères de La Dance" von Jean-Féry Rebel endet das Programm. Nicht weniger als zwölf Tänze hat der Komponist hier versammelt. Gewissermaßen der Schnelldurchlauf.
Trotz Abschied hat er gut lachen.
Foto: Kügler
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Mit diesem Abend haben Cummings und seine Mitspieler noch einmal ein Zeichen gesetzt. Barock ist vor allem Lebensfreude, mal leis, mal etwas lauter. Sie haben die alte Einheit von Musik und Tanz wiederhergestellt. Damit haben sie nicht nur einen wichtigen Kontrapunkt zur schwermütigen Ernsthaftigkeit späterer Generationen gesetzt, sondern auch eine wichtige Randnotiz für die Musikwissenschaft geschrieben. Damit wandeln sich die Händel Festspiele wieder einmal von einem Musikfestival zu einem ganzheitlichen Barockfestival.
Material #1: London Handel Players - Die offizielle Website
Material #2: Laurence Cummings - Die Biografie
Material #3: Steven Player - Der Tänzer
Material #4: Mary Collins - Die Tänzerin
Material #5: Internationale Händel Festspiel - Die Website
Material #6: Musik für einen König - Das Programm
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