Frische Stimmen im Oratorium begeistern

Mischung aus jung und erfahren spielt „Alexander Balus“ in der Nicolaikirche

Die Händel Festspiele waren am Sonntag zu Gast in Herzberg. In der Nicolaikirche stand das Oratorium „Alexander Balus“ auf dem Programm. Ort, Orchester, Solisten und vor allem der Chor: Das Gesamtpaket überzeugte in allen Belangen. Dafür gab es vom Publikum schon zur Pause begeisterten Applaus.

„Alexander Balus“ gehört zu den Jubelarien, die Georg Friedrich Händel 1747 und 1748 für seinen König geschrieben hatte. Dieser hatte gerade den Jakobitenaufstand niedergeschlagen und den Protestanten die Vorherrschaft über Großbritannien gesichert. Wie schon im Oratorium „Judas Maccabaeus“ griff seine Librettist Thomas Morell dabei auf eine biblische Geschichte zurück.

Gemeinhin gilt „Alexander“ als die narrative Fortsetzung des „Judas“, der schon am Donnerstag in der Stadthalle Göttingen auf dem Programm stand. Doch damit enden die Gemeinsamkeiten, beide Werke stehen für sich allein.

Dramaturgisch gesehen ist das Folgewerk fast schon ein Gegenentwurf zum Erstling. Während „Judas Maccabaeus“ verhalten startet, um dann im Triumph zu enden, läuft der Spannungsbogen des „Alexander“ gegenläufig. Am Ende stehen nur Tod und Verzweiflung.

Die Harfe setzt die Akzente.
Alle Fotos: Kügler
Auch musikalisch nimmt diese Oratorium eine Sonderstellung in Händels Schaffen ein. Er verzichtet hier weitgehend auf Selbstzitat, bietet Neues und sorgte mit einer außergewöhnlichen Instrumentierung für ungewohnte Klangfarben. Die streckenweise Dominanz der Blechbläser erinnert an Johann Sebastian Bach und die Streicher klingen im zeitweilige Stakkato wie bei Vivaldi. Kontrastiert wird dies mit den weichen Holzbläsern. Doch die bleibenden Akzente setzt die Harfe.

Jörg Straube am Dirigentenpult lässt das Ensemble Musica Alta Ripa furios beginnen. Alles jubelt und frohlockt. Erst die Oboen und die Fagotte, dann stimmen die Blechbläser in den Jubel mit ein. Die Pauke untermauert den Triumph. Gerade hat sich Alexander Balus zum König von Syrien gemacht. Das musste sein Vorgänger Demetrius mit dem Leben bezahlen. Trotz aller Dynamik und allen Jubels bleibt das Klangbild transparent. Die Instrumentengruppen sind deutlich voneinander zu unterscheiden.

Der Wahl des Spielorts erweist sich als weise Entscheidung. Das Orchester füllt die Halle und das weite Rund trägt den transparenten Klang ohne Qualitätsverlust durch den gesamten Kirchenbau. Die aufwärts strebende Architektur der Nicolaikirche ist eine wunderbare Ergänzung zu den hochfliegenden Plänen des Titelhelden.

Dann setzt der Landesjugendchor Niedersachsen ein und prägt gleich mit dem ersten Strophen den Abend. Das Ensemble bringt jugendliche Frische mit sich. Die Dynamik der Stimmen wird durch ein filigranes Klangbild ergänzt. Die Sängerinnen und Sänger greifen das Tempo des Orchesters auf und werden so zur treibenden Kraft in dem Ränkespiel um den Thron von Syrien.

Marcjanna Myrlak schlägt in der Titelrolle deutlich leisere Töne an. Nicht nur der Auftakt ist verhalten, auch im Laufe des Abends wird sie eher ruhigere Töne setzen. Den Alexander Balus entgegen der Vorlage mit einer Mezzosopranistin zu besetzen ist durchaus konsequent, denn der König der Syrer ist alles andere als ein strahlender Held. Die Ambivalenz seiner Person korrespondiert durchaus mit der lyrischen Vortragsweise von Myrlak.

Eine Kirche, eine Bühne, fünf Talente.
Foto: Kügler
Da ist doch William Wallace als Jonathan stimmlich ein anderes Gewicht. Der Tenor steht für Kraft und Glanz und somit der klare Sieger im Ränkespiel. Seine Koloraturen in den Arien des dritten Aktes begeistern mit Brillanz. Im Accompagnato am Ende des zweiten Akts gelingen ihm und dem Landesjugendchor ein Wechselgesang der Extraklasse.

Arianna Ventidelli beginnt als Cleopatra mit belegter Stimme ihr erstes Rezitativ. Doch schon in der Arie der ersten Szene zeigt sie ihr Potential. Sie und das Orchester legen eine Leistung vor, die in die Kategorie „optimale Ergänzung“ einzureihen ist. Ventidelli ist wohl eine Teamplayer. Im Duett mit Aspasia entwickelt sie Harmonie im Gesang und Brillanz in der Stimme. Das Liebesduett mit Alexander am Ende des zweiten Aktes ist wahre Poesie. Beide schmelzen vor Liebesglück dahin und mit ihnen auch das Publikum.

Neben dem Landesjugendchor ist Guilia Bolcato die zweite Überraschung des Abends. In ihren jungen Karriere hat sie schon einige Auszeichnungen einsammeln können und dies auch zu Recht, wie ihr Vortrag in der Nicolaikirche zeigt. In der Arie der Aspasia in der dritten Szene begeistert sie nicht nur mit ein passgenauen Wechseln mit dem Orchester. Sie brilliert zudem mit Koloraturen der Sonderklasse. Dabei geht sie an die Grenze der Stimmlage ohne ins Schrille zu kippen. Das ist Belcanto wie er sein muss.

Aber auch das andere Fach beherrscht die Sopranistin. Die zeigt ihre Arie in der zweiten Szene des zweiten Aktes. Auf einmal ist alles weich und rund und lieblich.

Mischung aus erfahren und jung: Musica Alta Ripa
und der Landesjugendchor Niedersachsen. Foto: Kügler
Soviel Poesie und Liebreiz muss Martin Achrainer den Kontrapunkt setzen. In der Rolle des Ägypterkönigs Ptolemäus entwickelt sich der kräftige Bass zum treibenden Motor der Erzählung.

Doch wie schon vor der Pause setzt wieder der Landesjugendchor den beeindruckenden Schlusspunkt. Das Ensemble überzeugt mit einem Kanon, in dem jeder Stimmlage klar erkennbar ist, zu ihrem Recht kommt und trotzdem ein harmonisches Ganzes ergibt.

Die Besetzung des Oratoriums mit einem Orchester, das auf jahrzehntelange Erfahrung in Sachen historischer Aufführungspraxis zurückblickt, und zahlreichen jungen Stimmen im Chor und als Solisten war nicht ohne Risiko. Doch es hat sich mehr als gelohnt. Wenn die Begeisterung des Publikums abebbt, wird die Gewissheit bleiben, dass man in der Nicolaikirche Sängerinnen und Sänger erlebt hat, den eine große Karriere bevorsteht.





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Material #4: Guilia Bolcato - Die Daten


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