Eine Oper im Paintball-Modus

Ein recht bunter Rodrigo bei den Händel Festspielen

Ein Punktsieg für die Modernisten. Mit der Oper "Rodrigo" hat Walter Sutcliffe bei den Händel Festspielen eine Inszenierung vorgelegt, die dem alten Meister wohl selbst gefallen hätte: Bunt bis schrill und durchaus handlungsstark. Das Publikum bedankte sich mit tosenden Applaus.

Schon die Ouvertüre zeigt sich ungewohnt. So gilt Rodrigo zwar als Händels erste italienische Oper. Doch die Dominanz der Streicher durchbricht er mit prägnanten Holzbläsern. Dabei gelingt es Laurence Cummings immer wieder, das filigrane Klangbild in den Vordergrund zu stellen. So werden die drei Sätze der Ouvertüre zu ersten Genuss.

Auf der Bühne sieht es aus wie bei Hempels vor Sofa. Das Werk von Dorota Karolczak wirkt wie aus einer Lost-Place-Fotoserie. Es zeigt einen Palast, der sich schon seit längerem in Auflösung befindet. Die Botschaft ist klar: Die Macht des Hausherren hat nicht mehr lange Bestand. Durch das Loch im Dach fällt bald die Außenwelt herein. Das Licht von Susanne Reinhardt setzt im Laufe das Abends immer wieder sehr gekonnt andere Details in Szene.

Sieht aus wie bei den Geissens: Rodrigo findet in
einer Lost-Place-Kulisse statt: Alle Foto: HNDL Gö
Der klassizistische Stuck wird mit einem Mobiliar kontrastiert, das man aus RTL II-Soaps kennt. Überall falscher Glanz und ein Schreibtisch zwängt sich auch noch in das Wohnzimmer. Das ist von Anfang bis zum Ende die Arena.

Auch ansonsten ist die Ausstattung und die Kostümierung ganz gegenwärtig. Rodrigo und sein Hofstaat wirken wie die netten Potentaten von nebenan. Gewissermaßen die Geissens der Völkerwanderung. Eine Gattin mit Blumentick und Hang zur Selbstverstümmlung gehört zu dieser missratenen Idylle der Mittelschicht.

Noch weit vor dem Gesang machen Anna Dennis als Florinda und Erica Eloff als Rodrigo klar, dass beide ihr Vergnügen am außerehelichen Sex haben. Nur dumm für Rodrigo, dass seine Gespielin daraus andere Konsequenzen zieht und Anna Dennis das in ihrer ersten Arie auch gleich deutlich macht.

Es ist ein fulminanter Auftakt, den die Sopranistin dahin legt. Sie kennt sich eben aus mit Händel und Zorn und Enttäuschung münden ein atemberaubenden Koloraturen. Erica Eloff kann der Dynamik wenig entgegensetzen und so gerät Rodrigo bereits am Anfang in die Defensive.

Überhaupt steckt diese Aufführung voller Symbolik, voller Gesten mit Hintergrund. War es im Barock die Arbeit mit den Händen, so finden sich in der Inszenierung von Sutcliffe Dutzende von Andeutungen. Da ist der Hund des Herrschers, der nach der verlorenen Schlacht als Symbol des Machtverlusts auf dem Grill landet.

Sutclife entwickelt die Vorlage damit weiter in die Gegenwart, aber einige seiner Andeutung stehen ohne Bezug und somit wirkt sein Rodrigo gelegentlich wie eine Ideensammlung. Aber dies war das Werk schon zu den Zeiten seiner Uraufführung 1707. Rodrigo dient Händel später als Speicher für die musikalischen Ideen seiner Oratorien. Also interpretiert Sutcliffe den Meister folgerichtig.

Rodrigo gehört zu Händels Frühwerken mit Optimierungsbedarf. Dazu gehört auch die Besetzung der drei Hauptfiguren. Dreimal Sopran ist doch zu dicht beieinander, so dass im Dreigestirn neben Anna Dennis nur Fflur Wyn in der Rolle der betrogenen Köngin Elisena  die Akzente setzen kann.

Eine Arie zum niederkien: Fflur Wyn als Königin
Elisena.   Alle Fotos: HNDL gö 
Aber das sind Momente aus der Kategorie Gänsehaut. Während Dennis auf unglabubliche Dynamik setzt kontert Wyn mit Lyrik und Empathie. Der Höhepunkt dieser Aufführung ist ohne Frage ihr Duett mit Elisabeth Blumenstock an der Solo-Geige. Das ist nicht nur Hingabe und Vergebung in Noten gegossen. Das sind die Augenblicke, in denen die Zeit stillsteht und das Publikum den Atem anhält.

In der dritten Szene des zweiten Akts treffen diese so gegensätzlichen Sopranistinnen direkt aufeinander. Rache und Vergebung kristallisieren sich in einem Duett. Hier legt Fflur Wyn den Grundstock für das versöhnliche Ende.

Doch erst einmal wird gekämpft. In der eigenen Logik muss dazu natürlich der Kronleuchter von der Decke runter auf den Boden der Tatsachen stürzen. Die Scharmützel und das um die Ecke lugen, die Kostümierung und die Ausstattung wirken dabei wie ein Treffen in der lokalen Paintball-Arena.

Jorge Navarro Colorado verkörpert in der Rolle des Guilano den Umschwung im Handlungsstrang durchaus nachvollziehbar. Dabei kann er mit seinen lyrischen Tenor jegliches Heldengehabe vermeiden.

Neben Dennis und Wyn ist das Festspielorchester die tragende Säule dieser Aufführung. Es ist immer wieder erstaunlich, wie trotz aller Dramatik der Klang doch ein feines Gespinst bleibt, in dem jede Stimme, jedes Instrument zu seinem Recht kommt. Zisseliert und mit ungewöhnlichen Klangfarben überrascht und verzückt das Ensemble immer wieder. Das wird der Kunst von Händel mehr als gerecht und stellt den experimentellen Charakter dieses Werks passend in den Fokus.   




Material #1: Händel - Die Festspiele
Material #2: Rodrigo - Die Inszenierung

Material #3: Rodrigo - Die Oper
Material #4: Händel - Die Biographie


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