André Chénier: Revolution und Terror gehen weiter
Gegner bis zur Guillotine
Eine
wahre Geschichte in der großen Historie zu erzählen, das ist die
Absicht von „André Chénier“, der Geschichte des französischen
Dichters. Ein Werk mit diesem Hintergrund nicht im Historismus
erstarrten zu lassen, ist eine Herausforderung. Dem Theater
Nordhausen ist dies gelungen. In seiner Inszenierung greifen Toni
Burkhardt und sein Ensemble den Anspruch von Umberto Girodano und
Luigi Illica, auf und führen ihn fort. Napoleon irrte, die
Geschichte von Revolution und Terror ist nicht beendet.
Ein kleines Mädchen in einer Chemise
mit roten Band führt ihren Vater aus dem Zuschauerraum auf die
Bühne. Er macht Bilder von dem schaukelnden Kind, von den
Ausstellungsstücken einer vergangenen Ära die Rolle des Zuschauers
wird dieser Zeitreisende aus dem 21. Jahrhunderts bei allen späteren
Begegnungen aber nicht verlassen. Hinter den Kulissen brodelt es,
hunderte Stimmen wispern und künden Bedrohliches an.
In dieser Gesellschaft ist Chénier (Hugo Mallet) ein Außenseiter. Foto: Tilman Graner |
Diener Carlo Gérard und sein Vater
bereiten das Fest der Gräfin de Coigny vor. Er singt von der
Freiheit, der Alte erträgt das Los stumm. Damit ist „André
Chénier“ nicht nur ein Konflikt der Klassen, sondern auch der
Generationen. Mit Verve und Kraft trägt Kai Günter diesen Konflikt
vor, während sich der Vater freiwillig dem Joch unterwirft. Die
Gräfin und ihre Tochter Maddalena, die auf Reifrock. Mieder und
Perücke verzichtet und sich lieber im Chemise kleidet, spüren
diesen Konflikt auch, tragen ihn aber nicht aus.
Herrschaftsordnung ist auch
Kleiderordnung. Deshalb spielen die Kostüme in dieser Inszenierung
eine wichtige Rolle. Da treffen Rokoko und Biedermeier aufeinander
und kontrastieren mit dem Business Dress des späten 20.
Jahrhunderts. Udo Herbster ist es gelungen, die Kleiderfrage zu einer
eigenen Sprache im Durcheinander der Revolution zu machen. Dies trägt
eine deutlich zum Gesamtanspruch bei.
Das Bühnenbild wird bestimmt von Weiß,
Rot und Blau. Das Weiß der Festgesellschaft wird nur ergänzt von
königlichen Purpur. Ein Satyr rückt die Fete ins Mystische. In die
Feier dringt der schwarze Unglücksbote Abate ein und berichtet von
den Unruhen in Paris. Hier ist Chénier ein Außenseiter und sieht
vom Rand der Bühne dem Treiben des Adels zu. Mit seiner ganzen
Bandbreite und arienfest singt Hugo Mallet in der Titelrolle vom
Elend, von der Hoffnung und von seiner Enttäuschung darüber, das
Maddalena ihn nicht versteht.
Dann ist die Revolution da. Machtvoll
dringt das Volk in den Palast ein und macht dem Fest ein drastisches
Ende. In drastischen Bildern macht die Nordhäuser Inszenierung
deutlich: nicht wird wieder so wie vorher. Giordano und Illica
nannten sprachen von einem musikalischem Drama in vier Bildern. Nach
dem ersten Bild sind die Pfeiler dieser gelungenen Inszenierung
deutlich, zwei große Sänger als ebenbürtige Gegner, glänzend
besetzte Nebenrollen, die eigene Kostümsprache und die
Bühnengestaltung aus der Hand von Wolfgang Kurima Rauschning..
Szenewechsel: das revolutionäre Paris,
Bilder der Stadt werden auf die
Kulisse projiziert, die Festlichkeit
ist verschwunden. Der Terror ist da und wird bleiben, das Mittel ist
die Denunziation ein Grabstein erinnert an den Jakobiner Jean Paul
Marat, dessen Ermordung den Vorwand für den Terror lieferte. Die
Umwälzung ist komplett, Gerard lässt sich als neuer Gott feiern.
Bilder der Diktatoren das 20. Jahrhunderts werden auf die Kulisse
geworfen, denn die Geschichte der Revolution ist noch lange nicht zu
Ende. Chénier ist zum Gegner der Revolution der erklärt worden, er
lebt in der Illegalität, doch die Gelegenheit zur Flucht will er
nicht ergreifen. Er wartet auf die Frau, die ihm Briefe sendet. Diese
entpuppt sich Maddalena. Nun darf auch Sabine Mucke ihr Potential
ausspielen und das Publikum honoriert es mit Szenenapplaus.
Gerard (Kai Günther, unten) will Rache. Foto: Tilman Graner |
Der Rest ist Geschichte. Von Gerard
denunziert landet Chénier auf dem Schaffot, Maddalena geht mit ihm
freiwillig in den Tod, Gerard bereut zu spät. Drei Tage nach der
Hinrichtung Chéniers stirbt auch Robespierre unter der Guillotine.
Mit dieser Oper schafft das Theater
Nordhausen eine emotionale und mitreißenden Studie über Revolution
und Revolutionäre, über Menschen in neuen Rollen und über die
Verführbarkeit der Menschen. Diese Studie bleibt nicht im späten
18. Jahrhundert stehen. Dies sind Probleme der Gegenwart und Terror
kennt keine Zuschauer, sondern nur Täter, das macht Toni Burkhardt
in seiner Inszenierung deutlich. Das Ensemble des Theater Nordhausen ist um eine vielschichtige Darstellung bemüht, verzichtet auf Schwarz-Weiß-Malerei und glänzt mit einer geschlossenen Gesamtleistung. Alle Kompomentenen tragen zum Gesamterfolg bei, eine Schwachstelle kann man nicht ausmachen.
Am 27. April feiert „André Chénier“ Premier im Theater Rudolstadt. Der Weg dahin lohnt sich.
Am 27. April feiert „André Chénier“ Premier im Theater Rudolstadt. Der Weg dahin lohnt sich.
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